DER MILLIONÄR AUS MIAMI
wurde Rafe voller Rührung bewusst, dass ein feines Band zwischen ihm und Joel entstand. Er wünschte sich nichts mehr für sein Kind, als dass es das Gefühl der Geborgenheit erlebte, dass seine eigene frühe Kindheit bestimmt hatte.
„Magst du Erdbeeren?“, fragte er Joel.
Der Kleine nickte. „Genauso gern wie die kleine Maus! Noch mal“, bat er Rafe dann. „Bitte noch mal vorlesen!“
Er lachte. „Dasselbe Buch?“
Wieder nickte Joel heftig. „Es ist das tollste Buch der Welt!“
„Hm“, erwiderte Rafe und wuschelte seinem Sohn durchs Haar. „Dann kann man es wohl nicht oft genug vorlesen.“
Während er las, bewegte Joel stumm die Lippen mit. Rafe war unendlich stolz, dass sein Sohn das ganze Buch auswendig kannte. Schließlich las er es ein drittes Mal vor, ehe sie sich einer neuen Geschichte zuwandten. Kurze Zeit später war Joel eingeschlafen.
Ihm wurde ganz schwer ums Herz, als er sah, wie vertrauensvoll und friedlich sein Sohn schlummerte. Vorsichtig steckte Rafe die Decke um ihn fest und schlich aus der Kabine zurück aufs Deck.
Nicole stand an der Reling und blickte verträumt in die Ferne.
„Und, glauben Sie, er fühlt sich hier wohl?“, fragte er.
Sie drehte sich um. „Aber das ist doch ganz offensichtlich!“
„Ehrlich gesagt hatte ich ein bisschen Sorge, dass er seekrank werden könnte, und habe extra Medikamente besorgt.“
„Das war sehr umsichtig von Ihnen“, erwiderte Nicole mit einem erstaunten Lächeln.
„Klingt so, als würde Sie das überraschen.“
„Na ja, Sie haben doch noch keine Erfahrung in solchen Dingen. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie für alle Fälle gewappnet sind.“
„Gefällt es Ihnen hier draußen denn auch?“
Nicole atmete tief die frische Meeresluft ein. „Wie könnte es mir nicht gefallen?“ Sie lachte leise, und Rafe gelang es nur mit Mühe, dem Impuls zu widerstehen, sie zu küssen. „Es ist so ruhig und friedlich hier“, fuhr sie fort. „Warum fühlen Sie sich eigentlich ausgerechnet zum Meer und zu Schiffen hingezogen?“
„Mein Vater hat uns früher manchmal mit auf die See genommen. Es ist zwar schon lange her, aber ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.“ Im Geiste sah er seinen Vater vor sich, der mit windzerzaustem Haar seinen Söhnen das Segeln erklärt hatte. Und einen Augenblick lang konnte Rafe vor Sehnsucht und Wehmut kaum sprechen. „Er war ein guter Vater.“
„Inwiefern?“ Nicole sah ihn fragend an.
„Verstehen Sie mich nicht falsch – er konnte auch sehr streng sein. Mit vier Söhnen und einer so zerbrechlichen Frau wie meiner Mutter hatte er es nicht leicht. Sie glauben nicht, was er uns alles beigebracht hat, damit wir eines Tages auf eigenen Beinen stehen können: dass man hart arbeiten muss, wie man schwimmt und Poker spielt – sogar wie man kocht!“
Sie lächelte. „Sie können kochen?“
Er erwiderte ihr Lächeln. „Am besten sind meine Spaghetti.“
Nachdenklich schüttelte Nicole den Kopf. „Ich glaube, meine Eltern können nicht einmal Wasser kochen.“
„Sie sind eben in einer anderen Welt groß geworden als ich.“
„Anders, aber weiß Gott nicht besser“, murmelte sie.
Als Rafe ihr Zittern bemerkte, zog er seine Jacke aus und legte sie Nicole um die Schultern. Überrascht sah sie ihn an.
„Es sah so aus, als wäre Ihnen kalt“, erklärte er. Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: „Bisher haben wir nur von mir geredet – wann haben Sie eigentlich gelernt zu kochen?“
„Im Internat. Kochen war ein Wahlfach, und es erschien mir sinnvoll, da ich damals schon wusste, dass ich nie wieder bei meinen Eltern leben wollte.“
„Klingt nach einer frühen Entscheidung.“
„Ja“, erwiderte sie. „Ich war mir mit neun schon sicher, dass ich nicht zurückkehren würde.“
„Klingt nicht so, als wäre Ihre Kindheit sonderlich schön gewesen.“
„War sie auch nicht. Die Ehe meiner Eltern war unglücklich, mein Vater war cholerisch … Auch deswegen ist mir so wichtig, dass Joel eine friedliche Kindheit hat.“
„Sie werden ihn nicht immer beschützen können“, erwiderte Rafe ernst.
„Sicher, aber solange ich es kann, werde ich alles dafür tun.“
„Sind Sie schon mal auf die Idee gekommen, dass Sie überfürsorglich sein könnten?“, fragte Rafe vorsichtig.
Der böse Blick, den sie ihm zuwarf, sprach Bände. „Wollen Sie etwa meine Fähigkeiten als Mutter infrage stellen?“
„Ich war einfach nur neugierig.“ Damit versuchte er, die Wogen zu glätten,
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