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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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und hatte einen riesigen Wasserkopf gehabt.
    Von Ostern bis Pfingsten hatte Agnes nicht einmal die Kraft aufgebracht, die milden Speisen zu verdauen, die ihre Freundin, Mechthild vom Hasgelhof, mit viel Sorgfalt zubereitet hatte. Alles hatte sie wieder ausgespien. An dem Unglück hatte nur die Fleischeslust schuld sein können!
Auch ohne die Absicht, ein Kind zu zeugen, hatten sie und Dankwart sich vereinigt. Zur Strafe war in ihrem Leib ein Wesen herangereift, das dazu verdammt gewesen war, ohne Seele in diese Welt zu treten.
    Agnes’ Wange zuckte. Sie gab sich solche Mühe, keusch zu bleiben! Das schwor sie bei Jesus, Maria und Josef! Aber manchmal genügte ein Blick in Dankwarts eisblaue Augen, damit sich in ihrem Schoß der Satan regte.
    Heinrich stand noch immer vor ihr. Zärtlich strich sie über sein braunes Haar, über die blanke Stirn, die hohen Wangenknochen, über sein Gesicht, das dem ihren so ähnlich sah. »Ich habe geschrien, weil es jeden Moment losgehen kann, aber du kannst mir helfen. Wasch die Körnerschüssel aus, dann füll sie mit Wasser und bring sie mir. Hinterher weckst du den Knecht!«
    Plötzlich musste sie an die vergangene Nacht denken. Irgendwann hatte sie am Fenster gestanden und beobachtet, wie Leutfried, der Knecht, mit einer Fackel in der Hand durch das Tor geschritten war. Wo hatte er so spät hingewollt? Oder hatte sie ihn gar nicht gesehen? War alles nur ein Trugbild gewesen?
    Agnes schüttelte die Erinnerung ab. »Jedenfalls sagst du Leutfried, dass er den Ackergaul nehmen soll, um Mechthild vom Hasgelhof zu holen. Hast du verstanden?«
    »Ja, Herrin!«
    »Dann läufst du in den Wald, um der Hebamme Bescheid zu geben. Sie soll sofort kommen...«
    Der Knabe legte den Kopf schief. Er zögerte.
    »Im Wald leben keine Kobolde«, sagte Agnes. »Glaub nicht alles, was der Pfaffe im Heimgarten erzählt.« Ihre Worte erreichten den Knaben nicht. Noch immer blinzelte
er nervös. »Soll ich lieber Leutfried zu der Hebamme schicken?«
    »Nein«, rief Heinrich schnell und griff nach der Schale. »Ich hab keine Angst.«
    Um Erschütterungen zu vermeiden, ging Agnes langsam zurück zum Bruchsteinhaus. Im Türrahmen streckte sie sich nach einem Beutel und durchtrennte die Schnur. Zugleich vernahm sie aus dem Nebenraum leises Kinderflüstern. Die Zwillinge müssen Angst bekommen haben, als sie meinen Schrei hörten, dachte sie und machte Heinrich den Durchgang frei, der die Schale mit Wasser auf den Tisch stellte.
    »Wenn du mit der Hebamme zurückkommst«, sagte Agnes und sah ihn eindringlich an, »greifst du dir einen Sack aus dem Stall und führst deine Schwestern hinab ins Tal. Am Waldrand rupft ihr Blätter von den Büschen, damit das Vieh was zu fressen hat. Bleibt dort so lange, bis Leutfried oder Mechthild kommen, um euch zu holen.«
    Der Junge nickte eifrig und rannte zur Hütte des Knechts.
    Agnes zog ein getrocknetes, moosähnliches Knäuel aus dem Beutel. Schon vor Wochen hatte sie Dankwart gebeten, es bei einem Händler in Freiburg zu erstehen. Sie betrachtete die Rose von Jericho und setzte sie auf die glitzernde Oberfläche. Kleine Wellen dehnten sich konzentrisch von dem Treibgut aus. Auf Wasser schwimmend entfaltete das Gewächs Kräfte, die den Muttermund der Gebärenden öffnen sollten.
    Noch einmal trat Agnes in den Türrahmen. Leutfried, der Knecht, eilte gerade aus seiner Hütte und rief ihr schüchtern einen Gruß zu. Dann rannte er quer über den Hof zum Stall. Heinrich bemühte sich nach Leibeskräften, den
Torriegel anzuheben. Die beiden tun, was sie können, dachte Agnes. Doch wie viel sicherer würde sie sich fühlen, wenn Dankwart ihr zur Seite stände. »Mein Gott«, betete sie. »Bring ihn zu mir! Lass ihn wissen, dass ich niederkomme! Sprich zu ihm, nur dieses eine Mal!« Eine heftige Wehe lenkte ihr Denken zurück auf das Unvermeidbare.

3.
    Dankwart setzte sich benommen auf und schaute besorgt zu dem Hengst hoch. Beim Tritt in ein Erdloch hatte er sich die Vorderläufe gebrochen und litt offenbar unter großen Schmerzen. Dem Dienstmann war sofort klar, dass der Rappe diese Verletzung nicht überleben würde. In einer solchen Situation gab es nur eine Maßnahme, und sie musste schnell ergriffen werden, um unnötige Qualen zu vermeiden.
    Dankwart zog das Schwert aus der Scheide und stieß es dem Tier bis zum Heft in die Brust. Gelb quollen die Augäpfel hervor. In aller Erbärmlichkeit der Kreatur Gottes schnappte der Hengst nach Luft und versuchte vergeblich,

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