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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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los? Kommt auf die Beine, ihr Kerle!«
    Nun erklang das Ächzen eines Holzschemels. Füße
schlurften über Stein und das schlaffe Gesicht eines Wachsoldaten tauchte im Portal auf. Als er den Reiter sah, weiteten sich seine Augen. Schnell blickte er zurück ins Wachlokal, flüsterte Unverständliches und trat wieselflink vor Dankwart hin.
    »Verzeiht mir, Herr! Bitte sagt niemandem, dass...«
    »Erspar mir deine Ausreden und lass endlich die Zugbrücke herunter!«
    Bald ertönte das Kettengerassel. Zwischen Mauerwerk und Brückenholz wurde ein Spalt Himmel sichtbar. Der dunkle Tunnel des Torgangs lichtete sich mit jedem Ächzen der Winde. Mit einem Rums knallte das Tor auf der anderen Seite des Wehrgrabens nieder.
    Der laute Aufprall erschreckte den Hengst. Das Tier wieherte und stellte sich auf die Hinterbeine. Dankwart neigte den Oberkörper gegen die Mähne, lockerte die Zügel und trat dem Hengst in die Flanken. Die Vorderläufe fielen auf den Grund
    »Heja«, rief er, um das Tier anzutreiben. Als Herr und Pferd den Schlossberg hinunterpreschten, peitschte Dankwart die Luft ins Gesicht. »Heja, heja!«
    Er überquerte die Brücke - die Hufe polterten über die Holzplanken -, nahm die leichte Steigung im Galopp und erreichte den Waldweg. Beschirmt von einem Blätterdach war er duster wie ein Felsstollen. Dankwart brachte sich und den Hengst in Gefahr. Er wusste es, aber etwas anderes war stärker. Der Weg würde ihn nach Aue, zu Agnes, führen. Vater im Himmel, betete er, zwölf Sommer hast du mir mit ihr geschenkt. Sie ist nicht mehr jung, aber Agnes ist mein Weib. Lass sie wohlauf sein! Ich bitte nur um das, Herr! Lass sie wohlauf sein!

    Abrupt verstummte sein stilles Gebet. Der Körper des Tieres arbeitete unter ihm in einem ruhigen Gleichmaß. Die Hufe griffen weit in die Dunkelheit aus. Dumpf klang ihr Trommeln auf dem Erdboden. Irgendwo heulten Wölfe. Zu dieser Jahreszeit drohte von ihnen keine Gefahr, denn der Wald hielt genügend Kleintiere bereit.
    Dankwart fühlte, wie die Ungeduld an ihm zehrte. Er musste schneller nach Aue kommen. Schneller zu Agnes! Mit Grimm zog er sein Schwert. Mit einem Schlag der flachen Seite in die Flanken trieb er den Hengst an. »Schneller! Lauf schneller!« Plötzlich sackte die Brust des Tieres nach unten und nach vorn weg. Mit einem Ruck wurde Dankwart aus dem Sattel geschleudert. Er spürte noch den Wind in seinem Gesicht, dann schlug er auf.

2.
    Ein beständiger Harndrang hatte Agnes in der Nacht wach gehalten. Sie hatte auf der Strohmatratze gelegen und den Winden gelauscht, die über das Schieferdach gefegt hatten. Auch hatte sie sich in die Welt ihrer Ahnen begeben, um Dankwart zu rufen, denn alle Zeichen deuteten daraufhin, dass die Niederkunft nicht mehr fern war. Ihren Ehemann in der Nähe zu wissen, würde ihr ein sicheres Gefühl geben.
    Mit einem Seufzen erhob sich Agnes vom Bett, um ihr Tagewerk zu verrichten. Durch die Tür des Bruchsteinhauses trat sie ins Freie. Spitze Steine drückten sich in ihre Fußsohlen, als sie sich zum Stall bewegte. Im Tor beugte sie sich hinab und ergriff eine Tonschale, die sie mit Gerstenkörnern aus dem staubigen Sack füllte. Da regte sich
das Leben in ihr. Mit Vehemenz trat es in ihre Bauchdecke. Agnes spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Nein , rief sie sich sofort zur Ordnung. Ich darf mich der Angst nicht ergeben!
    Agnes schleppte sich auf den Hof und stieß Lockrufe aus. Es dauerte nicht lange, bis sich eine Schar Hühner einfand und nach dem ausgestreuten Korn pickte. Der Schmerz kam plötzlich. Vor Schreck ließ sie die Tonschale fallen und griff mit beiden Händen nach dem Kugelbauch; sie blickte an sich hinab und ihre Augen weiteten sich. Noch immer versuchte sie tapfer zu sein und Fassung zu bewahren, aber ein spitzer Schrei sprang über ihre Lippen.
    Ihr Sohn Heinrich rannte über den Hof. »Herrin, was ist passiert?«
    Agnes biss sich auf die Unterlippe. Die Frauen im Dorf erzählten zwar, dass nur die Erstlingsgeburt schwer war, aber sie hatte anderes erfahren. Bei der letzten Niederkunft hatte sie sich halb besinnungslos auf dem Bett gewunden und mit Fäusten auf ihren Bauch getrommelt. Das Kind hatte einfach nicht hindurchgepasst. Sosehr sie sich auch abgemüht hatte, sosehr die Hebamme auch nachgeholfen hatte - der Gebärmund hatte sich nicht genug geweitet. Sie selbst hatte sich schon aufgegeben, als es nach drei Tagen und Nächten doch noch aus ihr herausgekommen war. Es war schon tot gewesen

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