Der Minnesaenger
dem Lehmfußboden nieder. Die Zwillinge drückten ihre Gesichter in den gewölbten Bauch der Freundin. Auch in ihrem Leib reifte ein Kind heran, das noch vor dem Fall des ersten Schnees die Taufe erhalten sollte.
Agnes strich Heinrich eine Locke aus der Stirn. »Hab keine Angst. Ich bin nur erschöpft.«
Währenddessen hob die Hebamme den Säugling aus dem Holzzuber. Sie streckte und beugte die kleinen Gliedmaßen, um ihre Gelenkigkeit zu prüfen, stippte den Finger in einen Holznapf mit Honig und führte ihn an den Mund, um die Geschmacksnerven des Kindes anzuregen. Nachdem sie den Säugling in ein Tuch gewickelt hatte, sagte sie: »Herrin, Euer Kind ist gesund. Sein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig. Schützt es drei Tage vor zu grellem
Licht, damit sich seine Augen an diese Welt gewöhnen können.« Die Hebamme legte ihr das Bündel in den Arm.
Agnes wiegte den Säugling und beobachtete, wie er aus eigenem Antrieb ihre Brust suchte und schmatzend zu trinken begann. Sie war so erleichtert, dass ihr Tränen in die Augen schossen. »Sieh nur!«, rief sie. »Sieh doch nur! Mein Kind will leben!«
»Die Geburt erfolgte bei Sonnenaufgang«, sagte die Hebamme. »Da ist der Lebenswille groß. Der Mensch strebt nach Entfaltung.«
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Agnes blickte zum Eingang und freute sich sehr, als sie ihren Ehemann sah. Mochten die Leute aus dem Dorf über ihn denken, was sie wollten. Niemals hatte er ihr oder den Kindern Gewalt angetan. Niemals hatten sie Hunger leiden müssen. In seiner Gegenwart fühlte Agnes sich sicher. Er war nicht nur vor Gott, sondern auch tief in ihrem Herzen ihr Gemahl.
5.
Dankwart sah zuerst die blutigen Tücher, dann das rote Wasser in den Schüsseln. »Bist du wohlauf?«, platzte er heraus.
»Das bin ich, mein Geliebter«, erwiderte Agnes. »Gott hat uns mit einem Sohn gesegnet. Bitte schließ die Tür. Wir müssen seine Augen schützen.«
Dankwart eilte zum Bett und kniete nieder. Zunächst war er noch misstrauisch - vielleicht hielt seine Ehefrau eine Hiobsbotschaft zurück, vielleicht wollte sie ihn nur schonen -, aber welchen Sinn würde das ergeben? Nein, Agnes hatte selbst gesagt, dass sie die Geburt unbeschadet
überstanden hatte. Sie wusste am besten, wie sich ihr Körper anfühlte.
Als er endlich begriff, dass alles gut war, streckte er seine Hand aus und strich ihr zärtlich über die Stirn. Er war so erleichtert, dass er auch den Tod des Hengstes akzeptierte. Wenn man es recht bedenkt, dachte er, hat so alles seine Richtigkeit. Gott hat meine Gebete erhört und dafür den Rappen genommen.
»Warum schwitzt du so?«, fragte Agnes.
»Das ist nicht mehr wichtig!«
»Unser Sohn ist kräftig! Wenn du einverstanden bist, möchte ich ihn nach meinem Vater nennen! Hartmann soll er heißen.«
»Herr«, sagte in diesem Moment die Hebamme. »Braucht Ihr mich noch?«
Dankwart drehte den Kopf nach hinten. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er nicht mit seiner Ehefrau alleine war. Sein Blick fiel auf die zwei Frauen, und es war ihm sehr unangenehm, dass ihn die beiden Hörigen in diesem aufgelösten Zustand erlebt hatten. Er musste ihnen zeigen, dass er immer noch Herr der Lage war. Gemessenen Schrittes ging er zur Eisentruhe und entnahm ihr zwei Silbermünzen. Dann drückte er eine in die faltige Hand der Hebamme und sagte: »Du kannst jetzt gehen!«
Ungläubig starrte die Hebamme auf das Geldstück und biss hinein, um sich von der Echtheit zu überzeugen. Sie verbeugte sich tief und sagte: »Gott segne Euch, Herr. Der Allmächtige schenke Euch und den Euren Gesundheit!« Eilig raffte sie den Kräuterbeutel und den Holznapf an sich und verließ den Raum.
Die zweite Münze wollte Dankwart Mechthild geben,
aber sie wich ihm aus, trat Agnes zur Seite und strich ihr zärtlich über die Schulter.
»Wenn du mich brauchst«, sagte Mechthild, »schicke deinen Sohn mit einer Nachricht.« Dann verließ sie das Haus.
Dankwart stand mitten im Raum. Er konnte es kaum glauben, aber Mechthild hatte ihn einfach stehen gelassen! Sie hatte ihn nicht einmal eines Blickes gewürdigt! Eine heftige Wut erfasste ihn. »Was bildet sich dieses Weib ein? Sie ist eine Bäuerin und keine Königin!«
»Bitte verüble es ihr nicht«, sagte Agnes sanft. »Es muss sie kränken, wenn du ihr Geld anbietest. Sie ist zwar arm, aber meine Freundin.«
»Das war nicht das erste Mal. Das weißt du genau! Richte Mechthild aus, dass sich meine Geduld erschöpft hat. Verweigert sie mir noch
Weitere Kostenlose Bücher