Der Moderne Knigge
Absicht, werde aber nicht verstimmt, um den Freund nicht zu erzürnen, da man ihn doch noch für das Parterre der Stadt nötig hat.
Ist man klug, was man als Besucher allerdings nicht zu sein pflegt, so sage man, man besteige sofort das Siegesdenkmal, das Rathaus, den Aussichtsturm oder was man sonst erklimmen soll, bleibe aber unten und gehe in ein zu ebener Erde gelegenes Wirtshaus, wo man über die Herzlosigkeit des Verwandten bei kühlem Getränk bequem den Kopf schütteln kann.
Hat man die Höhe erklettert, so finde man die Stadt und Gegend, aus der Vogelperspektive betrachtet, ungemein interessant, um wenigstens etwas von der Mühe des Steigens zu haben. Dies thue man, wenn man gefragt wird. Unter zwei Augen kann man dann die Wahrheit sagen und dazu Beleidigungen laut werden lassen, um den Ärger über den erlittenen Ungenuß zu erleichtern.
Ist man im Sinne des Frankfurters, der von dem Verfasser des »Faust« sprach, ein Hiesiger und braucht einen Sporn, um doch endlich einmal die Stadt vom Turm &c. aus anzusehen, so denke man sich, man treffe vielleicht einen Sachsen oben und beginne hoffnungsvoll den Aufstieg. Reift dieser Blütentraum, so wird man sich gut unterhalten wie überall, wo ein Sachse ist.
Oben angekommen hat man vielleicht das Begehren, Fragen beantworten zu müssen, die man nicht beantworten kann. Dann sage man den anwesenden Fremden, daß man hier geboren sei. Alsbald wird man einsehen, daß man seine Geburts- oder zweite Vaterstadt garnicht kennt.
Werden am folgenden Tag die Verwandten einen anderen Turm oder ein anderes städtisches Bauwerk besteigen, wie man es ihnen raten wird, so ist man ein Glückspilz, den dann Ägyptens König, wenn er ihn besuchte, gleichfalls sofort verlassen würde, um sich schnell einzuschiffen, weil ihm vor der Götter Neide graute. Aber gewöhnlich lassen sich die Verwandten nicht auf eine zweite Besteigung ein, und man ist ein Pechvogel.
Zu den beliebten Sommerunterhaltungen ist das
Kegeln
zu zählen, welches ein Gesellschaftsspiel ist, das entweder im Freien oder in einem Garten auf gedeckter Kegelbahn getobt wird. Außer dem Kegeljungen gehören dazu mehrere nur mittelmäßige Kegler, wenn man mit Erfolg kegeln will. Nach dem Urteil eines Meisterkeglers ist das Kegeln nämlich sehr gesund, wenn man gewinnt.
Trägt man gute und saubere Wäsche, so hält man es auch für gesund, vor dem Beginn des Spiels Rock und Weste abzulegen. Wer dies nicht thut, hält es gewöhnlich für gesundheitschädlich, minderwertige oder gar unsaubere Wäsche sehen zu lassen.
Will man sich bei guten Kegelspielern beliebt machen, so schiebt man die bekannten Kegeltiere Sandhase und Ratze. Geschieht dies oft oder gar gewohnheitsmäßig, so darf man sicher sein, immer wieder eingeladen zu werden und zwar unter der Versicherung, man sei ein liebenswürdiger Gesellschafter.
Will man die Nerven auf eine Generalprobe stellen, um sie zu prüfen, ob sie stark genug sind, in schwierigen Momenten Widerstand zu leisten, so höre man zum tausendsten Mal die sich immer gleich bleibenden Scherze, Redensarten und Bemerkungen, welche von einigen lieben Mitkeglern zu dem großen Vergnügen beigesteuert werden, ohne daß man die Geduld verliert. Schon beim neunhundertsten Mal kann man sagen, daß man Nerven wie Schiffstaue hat.
Will man nicht unangenehm auffallen, so komme man mit keinem neuen Scherz auf die Bahn. Trotzdem das Kegelspiel erst vor etwa sechs Jahrhunderten zuerst erwähnt worden ist, stehen doch Scherze und Anekdoten, welche kaum so alt sind, bei den Keglern in hohem Ansehen.
Trotzdem es Kegelklubs aller politischen Richtungen giebt, herrscht doch in keinem der Respekt vor dem König. Von den konservativen Keglern wird der König mit demselben Behagen umgestoßen, wie von den anarchistischen. Nimmt man nun an, daß eines Tages nicht in der gutgesinnten Presse gegen diesen Unfug Protest erhoben werden wird, so beweist dies, daß man die Menschen, welche dekoriert sein möchten, nicht kennt.
Der Kegler, nach der Unterhaltung auf seiner Bahn nur oberflächlich beobachtet, ist gewöhnlich ein Lebemann und Don Juan. Das hindert ihn aber nicht, mit Aufbietung aller Intelligenz und Willenskraft das weibliche Geschlecht vom Kegeln fernzuhalten. Die Frauen, welche sich bereits aus ihrer bisherigen Hilflosigkeit zu den Höhen der Omnibusse emporgeschwungen haben, die offenen Thüren des Sports einrennen und auf dem Wege zur Gleichstellung mit den Männern immer weiter radeln, an der
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