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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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könnten trinken nach Herzenslust. Dies wird von ihnen nicht geglaubt, und sie trinken daher mehr als sie vertragen können. So reizend eine Frau ohne Spitz sein kann, so reizend kann eine Frau mit einem Spitz sein.
    Der Stadtbewohner, der seine Gäste
auf dem Balkon
    bewirten kann, leistet ihnen einen doppelten Dienst, denn sie können sich einbilden, daß sie einige Stunden im Freien zugebracht haben, wobei niemand daran denkt, was alles in der Stadt Aufenthalt im Freien genannt wird.
    Hat man in einer mehr oder weniger engen Straße einen Balkon, so schätze man sich glücklich, wenn die gegenüberliegende Etage nicht von Neugierigen bewohnt wird. Allerdings giebt es solche Etagen nicht.
    Behauptet man, keine neugierigen Nachbarn zu haben, so werden dies nur die Nachbarn bestätigen. Aber beides ist falsch. Denn man behauptet nicht, keine neugierigen Nachbarn zu haben, und der Nachbar, welcher beschwört, sich niemals um seine Nachbarn zu bekümmern, ist unbedingt kein Feind von Meineiden.
    Kann man sich dessen nicht erinnern, was man gestern auf dem Balkon gethan hat, und möchte es gern wissen, so frage man nur die gegenüberwohnende Familie, von der man es genau erfahren kann, nachdem sie versichert hat, daß sie sich niemals um das Thun und Treiben der Nachbarn bekümmere. Nur wie durch ein Wunder ist sie gestern veranlaßt worden, ausnahmsweise hinüberzuschauen, da dies täglich wie durch ein Wunder geschieht.
    Ist die Straße so breit, daß der Balkon von den Bewohnern des gegenüberliegenden Hauses nicht inspiziert werden kann, so haben sie einen vortrefflichen Operngucker, welcher viel seltener für die Oper verwendet wird.
    Trinkt man allein den Kaffee auf dem Balkon, so hüte man sich, dem Dienstmädchen, das das Frühstück bringt, zu sagen, es solle die Zeitungen oder die Cigarren bringen, wenn man nicht, wie es wohl anzunehmen ist, vom gegenüberliegenden Haus die Nachricht verbreiten hören will, man habe mit dem bekanntlich sehr hübschen Mädchen ein Verhältnis. Denn solch ein Gerücht kann viel unangenehme Folgen nach sich ziehen, und man kann auch bedauern, daß es nicht wahr ist.
    Ist man verheiratet und sitzt man dann und wann neben der Gattin auf dem Balkon, so lese man derselben, wenn dies überhaupt geschieht, nicht zu laut aus Büchern oder Zeitungen vor, damit von den Gegenübern nicht behauptet werden kann, man zanke sich den ganzen Tag mit der Gattin.
    Will man es riskieren, daß dies mit dem Zusatz geschehe, es komme auch zuweilen von des Gatten Seite zu Thätlichkeiten, so hüte man sich nicht, auf dem Balkon die Gattin zu umarmen. Andernfalls warte man damit, bis man mit der Gattin in einem Hinterzimmer zusammentrifft.
    Besitzt man einen Papagei, welcher dann und wann Beweise seiner Eloquenz liefert, indem er einige Schimpfwörter wiederholt, so stelle man ihn nicht auf den Balkon, denn die Nachbarn könnten fähig sein, die Schimpfwörter nicht persönlich zu nehmen, wodurch der Papagei ziemlich überflüssig erscheint und man viel weniger Vergnügen als früher von ihm hat.
    Will man in der Nachbarschaft als Faulenzer gelten, der sein Geschäft, auch wenn man keines hat, vernachlässige, so braucht man nur häufig auf dem Balkon zu verweilen.
    Man hüte sich nur dann, den Balkon gegen die Sonne oder den Regen zu sehr zu schützen, wenn man keinen Wert darauf legt, daß gegenüber behauptet wird, man führe ein Leben, das sich ängstlich zu verbergen habe.
    Aber auch von den Sehenswürdigkeiten der Stadt, welche man bewohnt, mache man einen zweckmäßigen Gebrauch, was bekanntlich nicht immer der Fall ist.
    In erster Linie sind es
Türme, Denkmäler und öffentliche Gebäude,
    welche bestiegen werden können, auf die der moderne Knigge empfehlend hinweisen muß, und zwar im Interesse derjenigen, welche selbst nie daran denken, sie zu besteigen.
    Will man sommerliche Besucher für ganze Vormittage los sein, wie dies wohl der sehnlichste Wunsch jedes zärtlichen Verwandten und gastfreundlichen Mannes ist, so frage man sie bei ihrer Ankunft, ob sie sich nicht zuvörderst einen Überblick über Stadt und Umgegend verschaffen möchten. Man schildere solchen als geradezu bezaubernd, besonders wenn dies nicht der Fall ist, und die Besucher werden darauf eingehen. Hierauf schicke man sie auf irgend eine Höhe, die zu erreichen so anstrengend ist, daß die Besucher auch für den folgenden Nachmittag genug haben. Auch dies ist vorteilhaft.
    Ist man einer dieser Besucher, so merke man die

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