Der Mörder von Richmond Hill Kommissar Morry
„Was würde die junge Dame wohl dazu sagen, wenn sie erführe, daß der von ihr vergötterte Mann ein Mörder ist?"
Vickers' blasse Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut hervor.
„Nun?" fragte Carter.
Er hatte die rechte Hand wie unbeabsichtigt neben das Kissen gelegt, das die Pistole verbarg, denn er rechnete damit, daß Vickers einen Wutanfall bekommen würde. Aber Vickers sagte nur: „Sie darf es nicht erfahren."
„Bravo. Sie braucht es auch nicht zu erfahren. Niemals. Immer vorausgesetzt, ich heirate Ihre Schwester."
„Seitdem Sie das letzte Mal diese Forderung stellten, hat sich einiges verändert."
„Oh, Sie denken an den Kriminalbeamten, der Sie überwacht. Sie denken vermutlich auch an Kommissar Morry. Der führt nur auf gut Glück einen Nervenkrieg. Wenn Scotland Yard Beweise in den Händen hätte, wären Sie längst verhaftet. Vielleicht gehört es sogar zur Aufgabe des Kriminalbeamten, sich so zu benehmen, daß Sie sich beobachtet fühlen. Das zermürbt, wissen Sie. Scotland Yard arbeitet zuweilen mit diesen merkwürdigen und doch sehr erfolgreichen Tricks."
Vickers strich sich mit der Hand um das Kinn. „Hm, daran habe ich noch gar nicht gedacht."
„Morry ist gefährlich. Für meinen Geschmack stieß er erstaunlich rasch bis zum Kern des Problems vor."
„Von welchem Kern und von welchem Problem sprechen Sie?"
„Ach, nichts von Bedeutung."
„Carter, Sie verschweigen mir etwas!"
„Dazu besteht keine Veranlassung."
„Carter, ich will jetzt endlich die Wahrheit hören ... die volle Wahrheit!"
„Langsam, mein Freund. Sie verlangen einfach zuviel. Sagen Sie mir lieber, wann Ihre Schwester aus Cornwall zurückkehrt."
„Weichen Sie mir nicht aus, verdammt noch mal!" schrie Vickers mit sich überschlagender Stimme.
Carter ließ seine Backenmuskeln spielen.
„Ich möchte zwei Punkte klarstellen", erwiderte er ruhig. „Punkt eins: Sie befinden sich als Gast in meinem Haus, Vickers. Punkt zwei: Sie befinden sich in einer offenkundigen: Fehleinschätzung der Lage. Ich allein bin es, der hier bestimmt!"
„Ich verstehe. Sie wollen mir die Peitsche zu kosten geben. Aber ich fürchte Sie nicht, Carter!"
„Das sind doch nur Worte, leere Phrasen! Natürlich fürchten Sie mich. Machen wir uns nichts vor. Sie lieben Monika Craftfield. Der Gedanke, sie zu verlieren, treibt Ihnen den kalten Schweiß auf die Stirn. Nun, Sie brauchen das Mädchen nicht aufzugeben... immer vorausgesetzt, daß Sie die Partie so spielen, wie ich das wünsche. Ob Julia von Ihnen zu Recht oder Unrecht getötet worden ist, steht hier nicht zur Debatte. In den Augen des Gesetzes sind Sie ein Mörder. Wenn Sie verhindern wollen, daß man Sie öffentlich anklagt, müssen Sie sich schon nach meinen Befehlen richten. Ich hoffe, ich habe mich klar verständlich ausgedrückt!"
*
Archy Vickers nahm das Frühstück gemeinsam mit seiner Schwester auf der Terrasse ein. Während sich Beatrice eine Scheibe Toast mit Butter bestrich, blickte er starren Auges über den Park. Seine schmalen Lippen waren blaß und verkniffen. Er hatte bis jetzt weder den Kaffee noch den Toast oder die Eier berührt.
„Du bist zerstreut, Archy", sagte Beatrice mit ihrer dunklen Stimme, in der ein Unterton von Besorgnis mitschwang. „Überhaupt finde ich, daß du dich in letzter Zeit verändert hast. Was ist eigentlich los mit dir?"
Er löste seinen Blick von der Baumgruppe, die den hinteren Teil des Parkes begrenzte, und wandte sich der Schwester zu. Um seine Lippen geisterte ein erzwungenes Lächeln.
„Daran ist sicher das Wetter schuld. Es liegt etwas in der Luft. Ich spüre es in den Gliedern. Bestimmt gibt es heute noch ein Gewitter."
„Ich habe die Wettervorhersage gelesen; darin wird nichts dergleichen angekündigt."
„So ein Wetteronkel kann sich täuschen", meinte er. „Das gleiche gilt natürlich auch für mich", fügte er schulterzuckend hinzu.
Beatrice legte die Scheibe Toast aus der Hand und schob den Teller zur Seite.
„Ich sorge mich um dich, Archy!"
Sein Lächeln wurde weich. „Dazu besteht nicht die geringste Veranlassung, Beatrice!"
„Willst du mir nicht dein Herz ausschütten?"
Sein Gesicht verschloß sich. Er wandte den Kopf zur Seite und blickte wieder in die Ferne. „Das ist doch Unsinn, Bea!" erwiderte er ungehalten. „Ich neige nun einmal nicht dazu, mich an den Schultern eines Familienmitgliedes auszuweinen."
Es gibt also etwas, das dich bedrückt?"
Er seufzte und nahm einen Schluck aus
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