Der Moloch: Roman (German Edition)
Hengst ein feines Tier war. Ein altgedientes Schlachtross, gewiss, aber kräftig und gut im Futter. Es war mit getrocknetem Schlamm bedeckt, als wäre es durch einen Fluss geschwommen. Die Stiefel und die Beine des Mannes waren ebenfalls schlammig, aber der Umhang war neu und stank förmlich nach Geld und Macht. Quintos straffte sich und legte die Hand auf den Schwertgriff.
Dann schob der Mann seine Kapuze zurück. » Weißt du, wer ich bin, Soldat?«
Quintos wäre fast auf die Knie gefallen.
» Ja, Herr«, keuchte er.
Der Mann sah sich um, schaute auf die leeren Gassen und die unbesetzte Mauer.
» Du bist allein?«
Etwas in seinem Tonfall weckte Quintos aus der ehrfürchtigen Starre.
» Ja, Herr.« Aber dann dachte er, der Herr käme vielleicht auf die Idee, seine Kameraden wären desertiert. » Sie sind abgezogen, um gegen die Invasoren zu kämpfen«, fügte er hinzu. » Man hat uns gemeldet, die Mauer im Süden sei gestürmt worden.«
» Aber du hast es vorgezogen hierzubleiben.«
Er fühlte sich zu einer Erklärung genötigt, deshalb sagte der Soldat: » General Marcus hat mich auf diesen Posten gestellt, und ich werde meine Pflicht erfüllen, bis er oder der Kaiser persönlich einen anderen Befehl erteilen.« Seine eigenen Worte brachten ihn so aus der Fassung, dass er sein Unwohlsein durch eine vorlaute Frage sogar noch vergrößerte: » Verlässt du die Cité, Herr?«
Der Mann schaute ihn mit pechschwarzen Augen an. » Wie ist dein Name, Soldat?«
» Quintos, Herr. Man nennt mich Lederauge.«
» Das ist naheliegend. Wirst du mir jetzt das Tor öffnen, Quintos?«
Der Soldat beeilte sich, den Befehl auszuführen. Er kontrollierte durch einen Türspion gewissenhaft die Lage, bevor er die beiden armdicken unteren Sicherungsriegel zurückschob. Danach hob er unter Aufbietung all seiner Kräfte den großen Hauptriegel aus den Angeln. Für einen Einzelnen war das ein hartes Stück Arbeit, aber er schaffte es, und der Riegel krachte zurück in seine Halterung. Die warme, feuchte Luft der Ebene wehte herein. Sie duftete nach Eisen und Erde. Quintos trat schwer atmend zur Seite.
Als der Reiter die Zügel seines folgsamen Pferdes in Händen im Schritt durch das Tor ritt, blieb er bei Quintos kurz stehen. Die Energiewellen, die von ihm ausgingen, trafen Quintos wie die Brecher des Ozeans.
» Hast du heute irgendwen die Stadt verlassen sehen, Quintos?«, wollte der Mann wissen.
» Nein, Herr, keine Menschenseele.«
Der Fried brach unendlich langsam in sich zusammen. In seinen tiefsten Eingeweiden fielen Kammern, die seit Jahrhunderten niemand betreten hatte, in sich zusammen und verschwanden; Skulpturen, deren Schöpfer schon vor tausend Jahren gestorben waren, richteten ein letztes Mal ihre blinden Augen in die Dunkelheit, zerbarsten und rutschten tiefer in die tiefsten Schichten der Cité hinunter, verschwanden in Vergessenheit und wurden eins mit dem felsigen Grund. Die Maschinen, die die zerstörerischen Wassermassen vor dem Fried zurückhielten, fingen an zu stottern und verstummten irgendwann ganz. Das Wasser fand seinen Weg in die dunkelsten Winkel des uralten Gemäuers, es sickerte durch Risse und Ritzen, begann, die untersten Treppen heraufzusteigen, ergoss sich durch Türöffnungen und floss in längst verlassene Korridore.
Als der Wasserspiegel in der Halle der Kaiser zu steigen begann, bargen die Kämpfer den Leib des sterbenden Shuskara und trugen ihn in einen von Rosen überwucherten Hof. Zwischen weißen Säulen betteten sie ihn so auf einer Bahre, dass sein Blick sich gen Osten richtete. Dann kamen sie alle, einer nach dem anderen, um ihm den letzten Gruß zu entbieten. Fell, Broglanh und Darius, der neue Anführer der Nachtfalken, standen an seinem Kopf, Emly und Elija saßen ihm zu Füßen. Noch immer gezeichnet von den Schrecken des Tages, lag Indaro auf einer mit Winterrosen gepolsterten steinernen Ruhebank und versorgte ihre Wunden.
Dort im Hof stattete Archange dem General einen letzten Besuch ab.
Sie legte eine Hand auf seinen Arm, und er schlug die Augen auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er sie erkannte. Dann lächelte er.
» Ich werde mich heute nicht mit dir anlegen, Mylady«, sagte er.
Eine Zeitlang erwiderte sie nichts, sondern lauschte nur dem Strom des Lebenssaftes in seinen Adern, der immer langsamer floss. Dann sagte sie: » Diesmal kann ich dir nicht mehr helfen, Shuskara. Du bist zu schwer verwundet.« Als Emly in Tränen ausbrach, warf sie ihr einen strengen
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