Der Moloch: Roman (German Edition)
Torso. Die Klinge hatte die bleichen Halswirbel durchtrennt. Kurz hatte sich ein Blutschwall ergossen. Es sah aus wie die Leiche eines jeden anderen enthaupteten Kämpfers, die Fell gesehen hatte, und das waren viele gewesen.
Er blickte hinüber zu Marons Körper – klein und zusammengesackt, wie ein Haufen Lumpen. Nach all den Lügen empfand Fell nichts mehr für ihn außer Gleichgültigkeit.
Er wandte sein Gesicht zur Sonne. Noch immer wartete die letzte Aufgabe auf ihn, seine einzige wirklich wichtige Aufgabe. Er würde wieder in die Höhle hinabsteigen und den Kaiser töten. Und dazu jedes Abbild, das er erwischen konnte. Dann würde er zu Indaro gehen, falls sie noch am Leben war, und gemeinsam mit ihr diese verfluchte Cité für immer verlassen.
Er fand den Weg zur Treppe. In seiner Erinnerung hatte es keine Nebentunnel und keine Abzweigungen gegeben, als er in Marcellus’ Bann scheinbar direkt aus den Tiefen des Palastes in den Turm hinaufgestiegen war. Als er aber wieder abwärtsstieg, kam er rasch an eine Stelle, an der sich die Treppe teilte. Er ging rechts, und als er sich das nächste Mal entscheiden musste wieder rechts. Aber dann gelangte er in einen Flur, der schließlich wieder nach oben führte. Deshalb ging er zurück, aber schon bald hatte er sich in dem Labyrinth aus knöcheltief unter Wasser stehenden Gängen verirrt.
Zu seiner Freude entdeckten seine Augen wenigstens irgendwann einen schwachen Lichtschein. Stolpernd pflügte er durch das Wasser darauf zu. Das Licht der Fackeln wurde heller, und zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass er wieder zum Kristallbogen zurückgefunden hatte. Dahinter befand sich die Halle der Kaiser und vielleicht auch Indaro. Er verlangsamte seinen Schritt und lauschte. Es war kein Kampfeslärm zu hören. Waren sie alle tot? Er trat durch den Torbogen.
Der Raum war die reinste Leichenhalle. Hunderte Tote lagen über den kreisrunden Fußboden und die Wendeltreppe verteilt. Er hörte das Stöhnen und die Schreie verwundeter Männer und Frauen. Ein paar erschöpfte Kämpfer kümmerten sich mit leerem Blick um die Schwerverwundeten. Alle schienen die Uniformen der Eintausend zu tragen. Fell konnte sich keinen Reim darauf machen. Als er einen kupferfarbenen Haarschopf zwischen den Leichen entdeckte, stockte ihm das Herz. Er kniete sich hin und drehte den Körper um. Es war eine Frau mittleren Alters mit mehr Grau als Rot im Haar. Ihre Kehle war zerfetzt, und ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Entrücktes.
Er stand da und schaute im Raum herum. Dann entdeckte er Broglanh, der, den Kopf in die Hände gestützt, auf der Treppe saß.
Endlich entdeckte er sie. Sie hatte ihn bereits gesehen und arbeitete sich unter Schmerzen die Treppe hinunter, wobei sie sich an der Wand abstützte. Eine Hand hatte sie auf ihren Bauch gepresst, in der anderen hielt sie schlaff ein Schwert, das sie über den Teppich der Treppenstufen hinter sich herschleifte. Sie war dünn und bleich wie ein Gespenst, von oben bis unten blutverschmiert und sah aus, als könnten ihre Beine sie kaum noch tragen. Und ihre Augen funkelten nervös, als sie seinen Blick erwiderte.
Er schob sein Schwert in die Scheide und ging auf sie zu. Sie trafen sich in der Mitte der Halle, umgeben von all den Toten. Ihre veilchenfarbenen Augen fixierten ihn, als wollten sie ihn für immer festhalten.
» Sie haben auf uns gewartet«, sagte sie ruhig. » Jemand hat ihnen verraten, dass wir kommen würden.«
» Ihr wart nur eine Ablenkung«, eröffnete er ihr. » Ein Ablenkungsmanöver ist sinnlos, wenn niemand davon weiß.«
Sie lächelte.
» Du hast Blut an den Zähnen«, sagte er.
Hinter ihr tauchte ein junger Mann auf und ging auf sie zu. Fell sah ihn über Indaros Schulter hinweg an. Er war fast noch ein Knabe, in grüne Seide gekleidet, und bot einen starken Kontrast zu den blutbesudelten Soldaten. Die Kämpfer hatten alle ihre Tätigkeiten unterbrochen und sahen zu, wie er sich den Weg um die Leichen herum suchte.
Der Knabe nahm den Blick nicht von Fell und hatte ein schüchternes Lächeln aufgesetzt, als würde er ihn kennen und hätte ihm etwas Wichtiges zu sagen. Er war schon sehr dicht herangekommen, als Fell merkte, dass er pechschwarze Augen hatte. Eines seiner Lider hing ein wenig herab, als wollte er gleich zwinkern. Fell versuchte, nach seinem Schwert zu greifen, aber es war, als greife er durch zähen Sirup. Er wollte den Mund aufmachen, um Indaro zu warnen, aber ihm fehlten die Worte. Sie stand
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