Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
leichtes Aroma von Salz und Seetang in der Luft lag.
„Ich musste leider einen von den Schlägen an ihm ausprobieren, die du mir beigebracht hast“, erklärte Barwarin. Er sah Verenas erschrockenen Gesichtsausdruck, was bei der enormen Menge Creme in ihrem Gesicht gar nicht so einfach war und fügte entschuldigend hinzu: „Du hast gehört, was er gesagt hat. Es war sein Fehler. Und es war die Sache wert. Jetzt ist er regelrecht erträglich und ich fange sogar an, ihn irgendwie zu mögen.“
Ich glaube nicht, dass ich ihm Karate beigebracht hätte, wenn ich gewusst hätte, dass er damit Unschuldige verprügelt. Andererseits wäre es ein Wunder, wenn er sich dabei nicht die Hand geprellt hätte.
Mit dieser Vermutung lag Verena, wie sie bald herausfand, richtig. Barwarin hatte gewisse Fortschritte im Judo gemacht. Vermutlich wäre er inzwischen richtig gut darin, wenn Judo nicht regelmäßig schon nach kurzem Training dazu geführt hätte, dass sie ihre Kleidung mysteriöserweise verloren. Die wettkampfentscheidende Frage, wer zuerst auf dem Rücken lag, wurde dann in anderer Hinsicht interessant. Aber es schien schlicht und ergreifend unmöglich zu sein, ihn Karatetechniken [48] zu lehren.
Trotzdem setzte Verena weiterhin eine finstere Miene auf. Sie liebte Barwarin über alles. Das hieß dennoch nicht, dass sie akzeptieren konnte, dass er andere Menschen verletzte. Gerade deshalb nicht. Ich dachte schon, ich hätte alle moralischen Hemmungen in dieser Hinsicht abgelegt, nachdem ich damals Bernd verdreschen wollte. Oder als ich die Wilden getötet habe, die uns angegriffen haben. Spätestens als ich sogar bereit war, Barwarin zu verletzen, weil er mich wie Dreck behandelt hat. Anscheinend bin ich aber doch noch nicht so abgestumpft.
„Hat CAveedo dich oder mich angegriffen? Hat er Menschen gefoltert?“, fragte sie streng.
„Ähm, nein. Er war unglaublich schwatzhaft und … hat mich einfach nie in Ruhe gelassen. … Ähm. Ich konnte sagen, was ich wollte. Ja, er hat mich damit gequält. Aber natürlich war das nicht seine Absicht. Ich habe das einfach irgendwann nicht mehr ausgehalten. Es tut mir leid. Das habe ich ihm auch gesagt.“ Der stolze Barwarin wurde bei diesen Worten immer kleinlauter.
Er hat Angst davor, dass ICH ihm nicht verzeihe, was er getan hat. Und ich glaube diese Angst ist nur gut und gesund.
„Barwarin! Du weißt, dass ich dich über alles liebe. Aber ich will, dass du dir klarmachst, dass ich dir den Rücken kehren, dich verlassen werde, wenn du jemals wieder einem Menschen ohne Not Schaden zufügst. Das schwöre ich.“
Ich habe ihn nie zuvor weinen sehen. Ich habe gehört, wie er die schrecklichsten Dinge aus seiner Kindheit erzählt hat. Das ist ihm nahe gegangen. Aber er hat nicht geweint. Ich habe gesehen, wie er gelitten hat, als er vor einem halben Jahr von dieser Schlange gebissen wurde. Auch da hat er nicht geweint.
Sie hielt Barwarin nun in den Armen, um ihn zu trösten. Vor Rührung weinte Verena gleich mit.
Der weitere Weg in die Stadt war sehr gefährlich. CAveedo führte sie zwar hervorragend und eine bessere Gesellschaft als zwei Waldläufer hätte sich Verena in so einer Situation wohl kaum wünschen können. Doch Barwarins Schmerzmedikamente schienen zwar ihren Verstand nicht zu beeinträchtigen, konnten jedoch zeitweilig und unvermittelt den Gleichgewichtssinn stören oder die Fähigkeit Entfernungen zu schätzen einschränken. Außerdem fühlte Verena neue Verletzungen nicht mehr. Einmal lehnte sie sich bei einer Rast gegen einen spitzen Stock, und erst, als sie weitergingen, sah Barwarin das Holzstück aus ihrer Schulter ragen.
Glücklicherweise war der Weg nicht mehr allzu weit. Schon einen Tag später trafen sie auf die Mauern einer gewaltigen Festung, die sich, noch bevor irgendein Wohnhaus an ihrem Weg lag, auf einem gewaltigen Fels aus dem Dschungel erhob. „Vor Euch seht Ihr das Haus der ehrwürdigen Waldläufergilde von H´Cissar“, erklärte CAveedo so stolz als habe er die Gilde selbst gegründet. „Von dort oben werdet Ihr auch die Stadt selbst sehen können.“
Verena schlug plötzlich das Herz bis zum Hals. Nach dem abgeschiedenen Leben mit Barwarin war es ihr schon mit der zusätzlichen Gesellschaft CAveedos manchmal irgendwie … beengt vorgekommen. Jetzt sollte sie plötzlich in ein geschlossenes Gebäude mit wer weiß wie vielen anderen Menschen gehen. Es sind ja nur Waldläufer, versuchte sie, sich selbst zu
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