Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
zurückzulegen, meistenteils durch die städtischen Dschungel. Am Fuß des Gebirgsmassivs betreten wir durch das Tor der Felsen erneut die Alte Unterstadt. In der Nähe der Hauptstraße, am Unterstadtpark wohnt Senigara. Du hattest ja versprochen ihr einen Besuch abzustatten. Da die alte Unterstadtmauer in diesem Bereich noch intakt ist, müssen wir durch ein weiteres Tor um die Alte Unterstadt nochmals zu betreten. Dann ist es nicht mehr weit bis zur Neustadt. Die Neustadt liegt in einem ausgedehnten, runden Tal. Dort werden wir, mit schmerzenden Füßen, Selljins Domizil zum Einbruch der Dämmerung erreichen, jedenfalls, sofern wir uns nicht zu viel Zeit lassen. Am besten logieren wir bei Selljin.“
Konstantin seufzte theatralisch. „Das klingt nicht gerade nach einem Spaziergang. Mir tun jetzt schon die Füße weh, wenn ich daran denke, dass wir am nächsten Tag auch noch den ganzen Weg zurückmüssen.“
„Oh, ganz so arg ist das nicht,“ lachte Cenimnir. „Bei der Besichtigungstour machen wir einen riesigen Bogen durch die ganze Stadt. Sind wir in der Neustadt angelangt, haben wir nahezu einen Kreis beschrieben. Wir müssen jedoch nichteinmal wieder aus dem Neustadttal herabsteigen, um mit der Zitadellenbahn hierher zurückzugelangen. Der Neustadttunnel verbindet die beiden Täler ein Stückchen oberhalb von hier. Ich nehme an, diesen Tunnel möchtest du sowieso gerne ansehen. Außerdem hat dieser Weg den Vorteil, dass wir durch den Neustadtpark kommen. Das ist ein riesiger botanischer Garten, kein gezähmter Dschungel. Wir können dort am Badesee haltmachen. Der Rückweg wird tatsächlich eher nur ein langer Spaziergang.“
*
Cenimnir staunte nicht schlecht. Constantins Wissbegier schien eben so wenig eine Grenze zu kennen wie seine generelle Unwissenheit über die einfachsten Dinge.
Seine Begeisterung über die Zitadellenbahn, die wahrhaftig ein Wunderwerk der Ingenieurskunst darstellte, konnte Cenimnir noch nachvollziehen. Bis vor rund zweihundertfünfzig Jahren mussten die Bewohner alle Strecken zu Fuß zurücklegen und sämtliche Lasten mit reiner Muskelkraft in die Oberstadt schaffen. Die zu dieser Zeit stark wachsende Bevölkerung erhöhte aber den Bedarf an weniger beschwerlichen Transportmitteln erheblich. Nach dem Vorbild der rein auf Schwerlasttransport ausgelegten Minenbahn, die schon viel länger existierte, wurde die Zitadellenbahn entworfen. Gleichzeitig stellten die Zuwanderer auch die Arbeitskräfte, die dieses und viele weitere Großprojekte, wie den Neustadttunnel und die Erweiterung der großen Hafenmole umsetzten.
Während die Minenbahn auf fünf parallel verlaufenden, kupferbeschlagenen Holzschienen fuhr, wurden für die Zitadellenbahn drei davon als ausreichend erachtet. Als Antriebskraft kam nur die Wasserkraft infrage. Doch die von den Gletschern herabströmenden Wasser hätten in diesem Fall nicht genug Kraft geliefert, um die offenen Waggons die Steigung hinauf zu befördern, jedenfalls nicht so zügig, wie es für einen Personentransport wünschenswert war. Daher musste die Kraft der herabkommenden Waggons ebenfalls genutzt werden. Wie genau die technische Umsetzung dieses Prinzips funktioniert, habe ich selbst nicht gänzlich verstanden, dachte Cenimnir, der mit seinen Erklärungen gar nicht nachkam.
Jedenfalls lief so, brav und stetig, für jeden hinauffahrenden Waggon ebenso brav und stetig ein anderer Waggon auf der Parallelstrecke wieder hinab, ohne dass zwischen den einzelnen wuchtigen Gefährten ein allzu großer Abstand geblieben wäre. Gemeinsam mit Constantin bestieg Cenimnir einen der abwärtsfahrenden Waggons, in dem auf sechs einfachen, fast voll besetzten Sitzbänken je drei bis vier Fahrgäste Platz hatten. Gelegentlich ruckte es stark, wenn ein nachfolgender Waggon zu viel Schwung hatte und ihnen einen von großen Stahlfedern gebremsten Schubs gab, oder ihr eigenes Vehikel in gleicher Weise das vorausfahrende anrempelte. Die Passagiere hatten zwar große Hebel zur Verfügung, mit denen sie bremsen konnten, um diese Stöße zu mindern, doch sehr viel bewirkte dieses System nicht. Das war natürlich auch so vorgesehen, da sonst immer irgendwelche übervorsichtigen Gemüter den ganzen Verkehr aufgehalten hätten. Vor dem Tor zur alten Unterstadt wechselte dieser Bahnabschnitt die Richtung. Sie stiegen aus und durchschritten das stark frequentierte Tor, um zum Streckenabschnitt der Unterstadt zu gelangen, in dem die Waggons sich wesentlich langsamer
Weitere Kostenlose Bücher