Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Schiffswerften. Konstantin bewunderte, wie hier die größten Holzschiffe konstruiert wurden, die er je gesehen hatte. Er bestaunte mit Wasserkraft betriebene Sägewerke und Flaschenzüge. In dieser eher industriell geprägten Umgebung wurde deutlich, dass die technische Entwicklung keineswegs als rückständig bezeichnet werden konnte, sah man davon ab, dass Wasser die einzige Kraftquelle zu Lande darstellte. Die Mittel mochten einfach sein, doch selbst dass Holz verwendet wurde, wo man auf der Erde eher Stahl benutzt hätte, konnte nicht über den hohen Entwicklungsstand hinwegtäuschen. Allerdings hatte dieser Fortschritt offenbar kaum Einzug in das Privatleben der Menschen gehalten.
Der industriellen Nutzung zum Trotz sah Konstantin hier genau so viel Nutzfläche wie naturbelassene Bereiche. Das Konzept hatte er schon bei der Bibliothek kennengelernt. Die Arbeiter aus den Betrieben durften sich in ihren Pausen begrenzte Mengen tierischer und pflanzlicher Nahrungsmittel aus diesen Wäldchen besorgen.
Die schwere Erzbahn machte bei ihrer Fahrt einen viel größeren Lärm als ihre Schwestereinrichtung. Um die häufige Be- und Entladung von großen Lasten zu ermöglichen, gab es überall die Option, einzelne Waggons auf Nebengleise umzuleiten, wo sie eine Weile stehenbleiben konnten. Auf die Personenwagen sprang man dagegen normalerweise einfach während der Fahrt auf. Nur für Alte und körperlich Behinderte wurden an speziellen Wartestellen bei Bedarf einzelne Waggons zum Stillstand gebracht, um ihnen die Verwendung zu ermöglichen. Für diese Hilfestellung schien niemand speziell zuständig zu sein. Wer auch immer gerade vorbeikam, half aus. Konstantin freute sich, den schweren Weichenhebel ziehen zu dürfen, um an einer dieser Haltestellen einen Wagen aus dem fließenden Verkehr herauszulenken.
Die Erzbahn fuhr langsam. Daher hatte Konstantin reichlich Gelegenheit, sich in Ruhe umzusehen. Rechter Hand lagen immer noch ausgedehnte Werftgelände. Zur Linken dominierte die Steilwand des Tafelberges das Bild. In vielleicht tausend Metern Höhe erspähte er ein Kastell. Dahinter stieg eine weitere Steilwand von noch einmal gut tausend Metern in die Höhe. Wenn er seinen Kopf weit genug in den Nacken legte, konnte Konstantin dort oben an der Kante tatsächlich einzelne Flecken von Schnee ausmachen. Cenimnir bemerkte seine sehnsüchtigen Blicke und musste lachen. „Weißt du, die Erzbahn befördert auch Schnee und Eis. Wohlfeiler als hier kommt man nirgendwo in der Stadt an eisgekühlte Getränke. Lass uns kurz aussteigen, um einen Verkäufer ausfindig zu machen.“
Von der Altstadt aus hatte Konstantin bereits den Handelshafen oder zumindest Teile davon erspähen können und war zu dem Schluss gelangt, es mit einem sehr großen Hafengelände zu tun zu haben. Jetzt musste er diese Ansicht berichtigen. Dieser Hafen ist nicht sehr groß, sondern mindestens riesig. Vermutlich trifft es aber nur der Begriff ´gigantisch´.
Objektiv betrachtet waren irdische Hochseehäfen natürlich um Größenordnungen gewaltiger. Doch da hier Holzschiffe, mit Muskelkraft betriebene Flaschenzüge und Mauern aus Bruchstein sowie hölzerne Anleger das Bild beherrschten, verschob sich der Maßstab erheblich. Vor allem die große Mole, die die ankernden Schiffe vor dem starken Wellengang schützte, konnte nur als imposant beschrieben werden. An der breiten Hafenausfahrt stürzte ein wahrhaft gewaltiger Wasserfall von der Kante des Hochplateaus herab. Der Fluss, der heutzutage diese Hafenfälle speiste, so erkannte Konstantin jetzt, musste vor der Entstehung der Stadt seinen Verlauf gewechselt haben. Davor hatte er das Tal ausgewaschen, in dem heute die Minenstadt lag.
Eine Begehung des Handelshafens war ein Abenteuer für sich. Der größte Betrieb herrschte dort, wo Konstantin und Cenimnir ankamen, nämlich im Erzbahnhof. Die Entladung der schweren Erzbrocken, aber auch von fertigen Eisenwaren und ihre Verschiffung waren nur mit großen mechanischen Kränen, Zugwagen und dem unermüdlichen Einsatz einer Vielzahl von Helfern möglich. Kisten wurden vor Ort zusammengezimmert, Erzbrocken nachsortiert, und es war ein großes Rufen und Herumgewusel allerorten.
Kaum anders war die Situation bei der Endstation der benachbarten Zitadellenbahn, über die ohne Unterbrechungen Menschen und Waren in den Hafen und aus ihm heraus strömten. Cenimnir führte sie zunächst von dem dichtesten Trubel fort auf den Kai und dort in Richtung Hafenausfahrt.
Weitere Kostenlose Bücher