Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
vorwärtsschoben. [19]
Constantin kam offenbar aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er begaffte die vielen kleinen Wasserfälle, die hoch über ihnen von den Klippen stürzten, sich aber bis hier hinab vollends in einen hauchfeinen, kühlenden Sprühnebel verwandelten. Er wollte schon im Altstadtpark aussteigen, den er unverständlicherweise für natürlichen Dschungel hielt. Im Bereich der Bahnschienen waren die reinen Steine freigelegt. Da es sich bei einigen Brocken um Leuchtgestein handelte, war es in dem dichten Pflanzentunnel taghell. Als hätte er in seinem ganzen Dasein noch keinen einzigen Leuchtstein zu Gesicht bekommen. [20]
Nachdem sie ein wenig in der Alten Unterstadt herumgelaufen waren, die von der Bebauung der Altstadt ähnelte, verlegte Constantin sich darauf, eine kleine Familie Roter Menschen anzustarren. In H´Cuudim lebte eine kleine Minderheit dieser Menschenart, deren Hauptlebensraum am fernen Süßwasserozean lag. Rote Menschen wurden sie aus dem profanen Grund genannt, dass ihre Hautfarbe ein strahlendes Mittelrot war. [21] Dieses Merkmal war selbst auf H´Veredy [22] , wo Menschen in allen Regionen sehr unterschiedlich aussehen konnten, augenfällig. Die zahlreichen weiteren Unterschiede zu den Vertretern der anderen Menschenart, wie etwa die stark verhornten Hände und Füße fielen dagegen für sich genommen kaum auf. Bestimmt gibt es in Constantins Welt die Art der roten Menschen gar nicht.
Eine einfache Nachfrage bestätigte Cenimnir diesen Verdacht. Außerdem erklärte Constantin, dass auch viele der anderen Einwohner ihm wegen dieser oder jener, für Cenimnir meist alltäglichen, Eigenheit ebenfalls ungewöhnlich erschienen. Als Beispiel nannte er, dass die Haarfarbe Weiß hier nicht nur als Folge höheren Alters auftrat, sondern häufig angeboren war und dass die Haut vieler Menschen einen leichten Grünstich hatte. Ich frage mich, über welche Besonderheiten ich mich auf seiner Welt wundern würde. Constantin sieht jedenfalls nicht weiter ungewöhnlich aus. Vielleicht sind seine matte Haut und das runde Gesicht eher seltene Varianten. Das ist aber auch alles.
*
Konstantin floss der Schweiß in Strömen [23] , kaum dass sie für eine Weile die Zitadellenbahn verlassen hatten und herumgewandert waren. Er war sich sicher, auf der Erde niemals mit einer derart schwülen Hitze zu tun gehabt zu haben. Nur in einer Sauna war es noch heißer, dafür aber niemals so feucht. Cenimnirs Erklärung, in den Außenbezirken sei es noch merklich heißer, war ihm kaum ein Trost. Immerhin schwitzt er auch ein wenig. Vermutlich werde ich mich irgendwann an das Klima gewöhnen.
Davon konnte bislang keine Rede sein. Jedes Mal, wenn sie eine der öffentlichen Wasserstellen aufsuchten, war Konstantin heilfroh, seine neu erworbene Feldflasche auffüllen zu können. Was er zu sehen bekam, entschädigte ihn für die Strapazen. Neben den zum Teil schon erwähnten, vollkommen unbekannten Elementen, bemerkte er auch vieles, das ihm aus der Geschichte seiner eigenen Welt bekannt vorkam. In der Alten Unterstadt war das vor allem jede Menge traditionelles Handwerk. „Hier leben und schaffen die besten Handwerker und Künstler weit und breit, wenn man von der Metallverarbeitung absieht. Die beschränkt sich beinahe gänzlich auf die Minenstadt“, erklärte Cenimnir ihm. „Sowohl die Händler der Altstadt als auch die reichen Häuser der Neustadt beziehen einen immensen Teil ihrer Waren von hier.“
Abgesehen von der größeren Hitze und dem höheren Anteil von Gerbern, Kürschnern, Zimmerleuten, Glasbläsern, Apothekaren, Edelsteinschleifern und so weiter entsprach das Stadtbild weitestgehend dem der Altstadt, wenn auch die Grundstücke größer bemessen waren. Als die Stadt noch bedeutend kleiner war, hatte die Alte Unterstadt für lange Zeit den äußersten, befestigten Ring dargestellt. Ihre Mauern schlossen den Zugang zu dem damals noch unerschlossenen Neustadttal mit ein und reichten auch bis zur Minenstadt. Mit dem Ausbau einer Hauptstraße und der Zitadellenbahn war die Mauer in dieser Richtung weiträumig durchbrochen worden.
Nachdem Konstantin all dies erfahren hatte, suchten sie sich ihren Weg zur Zitadellenbahn zurück, um durch diesen Durchbruch in die eigentliche Unterstadt zu gelangen. „Dieser Bereich ist nicht repräsentativ für die Alte Unterstadt. Da hier die drei wichtigsten Verkehrswege verlaufen, haben wir mehr Gastgewerbe und größere Betriebe, die auf Lastentransport angewiesen
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