Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
hinführen mochte, wenn er zu gut genährt wurde.
»Ich nehme es, wenn sie nicht will«, sagte Vorm.
Wests Schnurrbart zuckte, und Staubpartikel stiegen in die Luft. »Es ist für keinen von euch. Du musst das nur für mich tragen, Nummer Fünf.«
Er drehte sich um und ging den Flur entlang, wobei er eine Spur Sand zurückließ. Sie folgte ihm.
Und fragte: »Das wird doch nicht damit enden, dass ich mich mit nur einem Eimer Hähnchenteilen zur Verteidigung einer ganzen Armee von Riesenkakerlaken entgegenstellen muss, oder?«
Er zuckte die Achseln. »Ich kann nichts versprechen, Nummer Fünf.«
Sie bogen in einen unvertrauten Flur ein. Daran war sie gewöhnt. Vielleicht war West der Einzige, der die Geheimnisse des Hauses kannte, auch wenn sie bezweifelte, dass er selbst sie alle kannte. Aber so langsam bekam sie es in den Griff. Der Trick war, nichts zu erwarten und auf alles vorbereitet zu sein.
Sie stiegen mehrere Treppen hinauf bis zu einer Tür.
Trotz ihrer Entschlossenheit, sich nicht verwirren zu lassen, wurde sie ein bisschen nervös. Gleichzeitig war sie in der Erwartung dessen, was sich hinter dieser Tür befinden mochte, etwas aufgeregt – von der Aussicht nämlich, eine weitere Schicht dieses zunehmend sonderbaren Universums abzuschälen. Sie glaubte nicht ganz, dass es kein Zurück zu einem normalen Leben gab, aber während sie hier war, konnte sie auch genauso gut das Positive daran sehen.
West öffnete die Tür und enthüllte einfach nur einen weiteren Korridor.
Jetzt war sie enttäuscht, und das sagte ihr alles. Sie mochte als widerwillige Gefangene in diesem Wahnsinn angefangen haben, aber dann hatte sich etwas verändert. Sie wusste nicht, ob sie sich daran gewöhnte oder ob sie allmählich von dem Wahnsinn verdorben wurde, der immer um sie herum war. So oder so: Das Eigenartige erschien ihr nicht mehr ganz so eigenartig wie früher, und das Normale war …
Sie war sich nicht mehr so sicher, was es war.
Vorhersehbar? Verlässlich? Sicher?
Langweilig.
Und langweilig sollte eigentlich gut sein. Aber Diana zuckte – wenn auch nur ein bisschen – bei dem Gedanken zusammen, dorthin zurückzukehren.
West ging den Flur entlang, und sie folgte ihm. Die Luft roch süß, allerdings nicht auf eine gute Art. Es war die Süße der Verwesung – von Milch, die sauer wurde und von Fleisch, das zwei Tage über dem Mindesthaltbarkeitsdatum war. Sie hatte immer einen schwachen Magen gehabt, aber jetzt störte sie das nicht mehr.
Eine Tür öffnete sich, und ein blasses Ding trat heraus. Es sah aus wie der Pillbury Doughboy , nur ohne Gesicht. Es trug einen grauen Hausmantel und hatte sich einen grauen Schal um seinen Klumpen von einem Kopf geschlungen.
Das Wesen zog sich wieder in seinen Türrahmen zurück, als sie vorüberkamen. Es kreischte, und fast alle anderen Türen gingen auf. Weitere Teigfiguren streckten die Köpfe heraus.
»Die sind nicht gefährlich, oder?«, fragte sie.
»Diese Frage stellen sie sich auch im Hinblick auf dich.«
Sie verstand, was er sagen wollte. Sonderbarkeit war relativ. Hier waren Diana und West die fremden Eindringlinge aus einer anderen Dimension, ebenso bizarr und unvorstellbar wie Vorm und Smorgaz.
West klopfte an eine Tür, und ein weiteres blasses Ding öffnete ihnen. Es war genauso gesichtslos wie die anderen Bewohner, bis auf ein einzelnes Auge in seinem Kopf. Es war ähnlich, wenn nicht sogar fast identisch gekleidet wie West. Seine ungepflegte Erscheinung war der seinen ähnlich genug, dass selbst bei ihren körperlichen Unterschieden offensichtlich war, dass sie Seelenverwandte waren.
Das Wesen kreischte und bellte.
»Ja, ja, das ist sie«, antwortete West.
Die Kreatur jaulte auf. Ein Mal.
»Tja, ich hatte nicht viel Zeit, eine andere zu finden«, sagte West. »Du kommst aber damit zurecht, oder?«
Das Wesen musterte Diana abschätzend. Es umrundete sie einmal, versuchte ihr den Hähncheneimer wegzunehmen, aber sie zog ihn weg. Es sah sie finster knurrend an.
»Ich bezweifle, dass sie Jungfrau ist«, sagte West, »aber ist das wirklich wichtig?«
»Es ist Tradition«, sagte das Wesen.
Auch wenn es das nicht gesagt hatte. Es hatte wie vorher geklickt, geknurrt und gefaucht. Diana hatte es diesmal einfach nur verstanden. Seine unmenschliche Sprache lag plötzlich offen. Das hätte nicht möglich sein dürfen. Die Syntax und Grammatik waren so sonderbar, dass ein Meister-Sprachgelehrter ein ganzes Leben gebraucht hätte, um eine Handvoll
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