Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
ich hab dir keine Angst gemacht.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, ich war nur besorgt. Das ist alles.«
Sie lachten, nicht ohne Unbehagen.
»Du weißt, wie das ist«, sagte er. »Wie es einem manchmal an die Nieren geht.«
»Ich weiß.«
Sie trat näher, um sich seine Augen genau anzusehen. Sie waren ruhig, aber jetzt, da sie wusste, dass er da war, konnte sie den Anflug von Wahnsinn dahinter lauern sehen.
Peinlich berührt wandte er sich ab.
Die folgenden zehn Minuten verbrachten sie damit, schweigend das Klebeband abzuziehen und wegzuwerfen. Danach setzten sie sich aufs Sofa und sahen sich Zeichentrickfilme an. Er legte den Arm um sie, aber während einer ganzen Folge Frankenstein jr. and The Impossibles sagte keiner von ihnen ein Wort.
»Ich habe eine Idee«, begann sie. »Wie wäre es, wenn wir ausgingen?«
»Wir können nicht ausgehen. Nicht heute Abend.«
»Das wird lustig!«
»Aber er ist da draußen.« Chuck deutete auf die Tür. »Und er wird mich nicht gehen lassen.«
»Dein Hund? Er ist nicht da. Er war den ganzen Abend nicht da.«
»Das will er dich nur glauben machen.«
Sie öffnete die Tür, damit er den leeren Flur sehen konnte.
»Siehst du? Weg.«
»Er ist da. Er wartet nur.«
»Worauf?«
»Ich weiß nicht.«
Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn spielerisch zur Tür. »Wir gehen nur spazieren oder so. Irgendwas Kurzes. In einer halben Stunde sind wir wieder da. Sogar früher.«
Er entriss ihr seine Hand. »Ich habe Nein gesagt!«
Sie konnte ihn zwar nicht sehen, aber auf der anderen Seite der Schwelle bellte schrill der Monsterwelpe.
»Ich habe dir doch gesagt, er ist da draußen!«, schrie Chuck. »Warum hast du versucht, mich zum Gehen zu bringen? Jetzt hast du ihn wütend gemacht!«
Der Welpe wedelte mit seinem spitzenbewehrten Schwanz.
»Es war ihre Schuld. Sie wollte, dass ich es tue.«
Der Hund kreischte.
»Ja, ich schicke sie weg. Sofort.« Er schob sie in Richtung Tür. »Du musst jetzt gehen.«
»Aber …«
Er schubste sie so heftig in den Flur, dass sie beinahe an die gegenüberliegende Wand gekracht wäre.
»Dann sehen wir uns morgen?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Mal sehen.«
Er knallte die Tür zu. Der Dämonenwelpe ging dreimal im Kreis, bevor er sich an seinen angestammten Posten setzte. Die Kreatur senkte den Kopf, bedeckte die Augen mit den Pfoten und winselte.
»Wer hat dich nach deiner Meinung gefragt?«
Er rülpste und spuckte eine faulige rötliche Wolke aus.
Sie ging zurück in ihre Wohnung. Die Monster fragten sie nach ihrem Date, aber sie murmelte nur etwas von einer Planänderung und schloss sich im Badezimmer ein.
Diana musterte ihr Gesicht im Spiegel. Vor allem ihre Augen. Sie suchte nach derselben gestörten Psyche, die sie in Chucks Augen gesehen hatte, aber sie fand sie nicht.
Beginnende Demenz zu haben und sie nicht diagnostizieren zu können störte sie nicht annähernd so wie der Gedanke, dass es vielleicht gar nichts zu sehen gab. Vielleicht wurde sie doch nicht wahnsinnig und hielt sich trotz ihrer verrückten Lage ganz gut.
Das machte ihr mehr Angst als die reine Unzurechnungsfähigkeit.
ZWEIUNDZWANZIG
West klopfte an die Tür.
Diana wusste bereits, dass es West war, bevor sie öffnete, denn sein Klopfen war speziell. Zweimal kurz, eine Pause und dann ein dritter, härterer Schlag. Sie überlegte kurz, nicht aufzumachen, aber der Gedanke brauchte zu lange, um zu reifen. Sie drehte bereits den Türknauf, als der Gedanke ausschlüpfte, da gab es kein Zurück mehr.
West hatte eine Pappschachtel mit frittierten Hähnchenteilen auf die Hüfte gestützt. Er war immer ungepflegt, aber jetzt waren seine grauen Kleider auch noch mit braunem und grauem Schmutz überzogen. Er bedeckte sogar seinen wilden Bart.
»Du magst die Schwerkraft, oder, Nummer Fünf?«, fragte er.
Zap meldete sich vom Sofa aus zu Wort: »Schwerkraft wird allgemein überschätzt, wenn ihr mich fragt.«
Sie ignorierte den Kommentar, dachte aber trotzdem einen Augenblick nach.
»Ich bin dafür«, sagte sie.
»Gut. Dann könnte ich deine Hilfe gebrauchen.« Er bot ihr den Hähncheneimer an.
»Danke, aber ich habe keinen Hunger.«
Eine Lüge. Sie hatte jetzt immer Hunger. Es war nur ein winziger Teil von dem gierigen Zwang, der durch Vorms Wesen tobte. Er war zwar nie überwältigend, aber sie war auch nie wirklich satt. Doch sie gewöhnte sich an den Hunger. Ein Hunger, dem sie bewusst nicht nachgab, aus Angst davor, wo er
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