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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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Sätze zu enträtseln, nur um dann festzustellen, dass man, um die Sprache wirklich zu verstehen, das erste Wort hätte hören müssen, das die allererste graue Nacktschnecke von sich gegeben hatte, als sie über die Strände dieser Welt gekrochen war.
    Aber sie verstand es.
    »Es steht geschrieben, dass das Große Ding Jungfrauen bevorzugt«, sagte das Wesen.
    »Das Große Ding wird nehmen müssen, was es kriegen kann«, sagte West.
    Das Wesen schnaubte. Es stapfte in seine Wohnung zurück.
    »Was ist hier los?«, fragte sie.
    »Halt einfach die Hähnchenteile fest«, sagte West und ging hinein.
    Sie zögerte. Vielleicht war die langweilige, vorhersehbare Realität doch nicht so schlecht. Ein Blick hinter sich zeigte ihr, dass die Bewohner des Gebäudes sie aus der Sicherheit ihrer Türrahmen beobachteten. Sie bezweifelte, dass die verängstigten Wesen ihr in die Quere kommen würden, wenn sie sich in ihr eigenes Universum zurückzog.
    Aber sie war so weit gekommen, und ihr eigenes Haus in ihrer eigenen Existenzsphäre war auch kein großer Schutz, was unheimliche Dinge anging.
    Sie folgte West.
    Das Apartment wirkte normal. Ein bisschen unordentlich, sonst aber unauffällig. West und das Wesen standen sich gegenüber. Sie waren damit beschäftigt, die Möbel aus der Mitte des Raumes wegzurücken, inklusive eines ziemlich großen und schweren Couchtischs.
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte sie.
    »Halt einfach das Hähnchen fest.« West mühte sich ab, den Tisch zur Seite zu zerren. »Dein Part kommt gleich.«
    »Und pass auf den Teppichläufer auf«, sagte sein blasses einäugiges Gegenstück.
    Der Tisch war wohl schwerer, als er aussah. Sie brauchten mehrere Minuten, um ihn aus dem Weg zu zerren. Als sie ihn schließlich an ein paar Bücherregale herangeschoben hatten, wehte eine heiße Windböe unter dem riesigen quadratischen Läufer hervor, der den größten Teil des Bodens einnahm. Es stank nach demselben süßen Verwesungsgeruch, den sie schon im Flur gerochen hatte.
    West und das Wesen stellten sich an die beiden Seiten des Teppichs und rollten ihn weg. Darunter klaffte ein tintenschwarzes Loch, das den größten Teil des Bodens einnahm. Es störte sie nicht, dass der schwere Couchtisch direkt durch das Loch hätte sinken müssen, als er auf dem Teppich gestanden hatte. Solcherlei Physik bedeutete ihr nicht mehr viel. Auf keinen Fall betrachtete sie sie als selbstverständlich.
    Aber irgendetwas war da unten. Sie konnte es nicht sehen, und die Luft stand – schrecklich still. Doch in der Dunkelheit ... da war ... etwas.
    Das Große Ding.
    Sie blickte in den Abgrund. Er blickte nicht zurück, denn ihre Gegenwart war ihm egal. Seine Apathie war hypnotisierend. Dieses Loch war das Universum. Tief, unergründlich und desinteressiert. Es drohte, sie zu verschlucken. Dazu hätte es nicht einmal etwas tun müssen. Es musste sie nicht jagen oder locken. Es würde einfach mit unendlicher Geduld warten, bis sie sich selbst in sein hungriges Maul warf.
    »Worauf wartest du?«, fragte das Wesen. »Worauf wartet sie?«
    »Der menschliche Verstand ringt mit dem Unbegreiflichen«, sagte West. »Lass ihr ein bisschen Zeit.«
    Diana trat von dem Loch zurück, da erbebte die Welt.
    »Das Hähnchen, Nummer Fünf«, sagte West.
    Ihre Füße verloren den Halt. Sie fiel langsam auf den Boden zu. Als sie endlich aufschlug, prallte sie ab und schwebte. Die Möbel trieben ein paar Zentimeter über dem Boden. Alles andere auch. Nur nicht West und das Wesen: Die schafften es, mit beiden Füßen auf der Erde zu bleiben.
    Sie warf das Hähnchen in das Loch. Versuchte es zumindest. Es war schwer, wenn nichts mehr fiel. Diana stieß sich mit den Füßen von der Wand ab, packte den Eimer und warf ihn in das Loch. Er driftete in den Abgrund. Sie schwebte ziellos, während der Eimer in der Dunkelheit verschwand.
    »Funktioniert es?«, fragte sie.
    »Ich hatte dir doch gesagt, wir brauchen eine Jungfrau«, sagte das Wesen.
    »Gib ihr einfach eine Minute!«, sagte West.
    Sie starrte in die Leere unter sich. Falls die Schwerkraft jetzt zurückkam, hatte sie einen langen Sturz vor sich.
    »Gib mir die Hand, Nummer Fünf.«
    West griff nach ihr. Sie nahm seine Hand. Die Haut war schuppig und kalt. Ihr erster Impuls war, sich wieder zu lösen, aber das ignorierte sie.
    Ein kalter Wind blies aus dem Loch, und sie fiel. Verzweifelt klammerte sie sich an West, aber er konnte auf keinen Fall verhindern, dass sie beide ins Nichts stürzten. Doch er

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