Der Mondmann
Haut, die sich auf ihre übertrug. Die Temperatur kam von innen. Sicherlich hatte das Fieber dafür gesorgt.
»Geht es?«
»Ja, ja, es ist okay!«
Sie kam langsam in die Höhe und atmete dabei schwer. Carlotta hielt sie nicht nur fest, sie zog ihren Schützling auch zu sich heran und hielt ihn fest. Dabei spürte sie das Zittern der Frau, die größer war als sie, doch nicht sehr viel.
»Ich kann allein nicht stehen«, flüsterte Melody. »Ich habe das Gefühl, gleich fallen zu müssen.«
»Keine Sorge, ich halte dich fest.«
»Bist du denn so stark?«
Carlotta lachte leise. »Du wirst dich wundern.« Mehr sagte sie nicht und drehte sich um, weil sie einen Blick zum Eingang hin werfen wollte.
Das Viereck malte sich tatsächlich schwach ab. Dahinter breitete sich zwar auch die Dunkelheit aus, doch sie hatte einen leichten Schleier aus Sternen- und Mondlicht erhalten und somit ein wenig Helligkeit.
»Wenn du gehst, musst du versuchen, bei jedem Schritt die Beine so hoch wie möglich zu heben. Hier liegen überall Trümmer herum, und die sind unterschiedlich hoch.«
»Danke.«
Sie starteten den ersten Versuch. Es war für sie wirklich nicht leicht, das merkte Carlotta sehr schnell. Melody bekam die Füße zwar vom Boden hoch, was sie viel Kraft kostete, aber niemals war sie in der Lage, die nächsten Trümmer zu übersteigen.
Da musste ihr Carlotta schon helfen. Sie umgingen nicht jedes Hindernis, manchmal hob das Vogelmädchen die Frau einfach an und geleitete sie so über die Hindernisse hinweg.
Das klappte einige Male gut, aber Melody zeigte sich irritiert. »Du bist sehr stark.«
»Ja, das bin ich.«
»Wieso?«
»Angeboren.«
»Toll.« Zum ersten Mal seit einiger Zeit konnte Melody wieder lachen. »Mit dir hätte ich nie gerechnet. Es ist schon ein Wahnsinn, dass mich eine Fremde hier rausholen will.«
»Nicht nur will. Ich hole dich hier raus. Ich bringe uns beide weg.«
»Mit einem Auto?«, flüsterte Melody, die stehen blieb. »Kannst du überhaupt fahren?«
»Wir kommen hier weg!«, erklärte Carlotta nur.
Sie war froh, dass ihr Geheimnis noch nicht entdeckt worden war. Nur würde das nicht so bleiben. Wenn sie draußen waren, mussten sie in die Höhe steigen, und dann würde eine Frau wie Melody die Welt nicht mehr verstehen.
Bisher hatte alles gut geklappt. Zwar war Melody zweimal gestolpert, aber nicht gefallen, und so rückte das graue Viereck für sie immer näher heran.
Sie rochen bereits die Frische der Nacht und spürten auch den Wind auf ihrer Haut. Melody’s Gesicht glühte zwar nicht mehr im Fieber, doch ihre Haut war noch immer erwärmt. Als sie jetzt von dem kühlen Windstoß getroffen wurde, spürte sie den Schauder, und sie merkte auch, dass der Wind durch den Stoff ihres Bademantels drang und auf ihrer Haut ein Gänsehaut hinterließ.
Das Vogelmädchen spähte nach draußen. Carlotta wollte unbedingt herausfinden, ob vor dem Turm jemand auf sie wartete. Sie rechnete mit allem, denn sie bezweifelte, dass sich ihr Schützling geirrt hatte. Sie glaubte ihm jedes Wort. Eine Gestalt mit gelben Augen dachte man sich nicht so einfach aus. Es musste diesen verdammten Mondmann geben, und er hatte die Frau nicht grundlos entführt.
Eigentlich hätte sie Melody einfach stehen lassen müssen, um sich draußen umzuschauen. Dieses Risiko ging sie nicht ein. Sie wusste nicht, wie stark Melody war und ob sie sich allein auf den Beinen halten konnte.
Kaum hatte sie diese Gedanken beendet, da taten sie bereits die letzten Schritte und ließen das Versteck hinter sich.
Melody Marwood wollte nicht weitergehen. Sie musste einfach stehen bleiben und etwas sagen.
»Danke, danke. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch mal lebend aus diesem Turm herauskomme.«
»Ach, das darfst du so nicht sehen, Melody. So leicht stirbt man nicht. Das sage ich dir, obwohl ich jünger bin. Ehrlich, man ist eigentlich verdammt zäh.«
»Gut zu wissen.«
Carlotta zog die Frau weiter. Zu lange wollte sie mit der Flucht nicht zögern, aber ihr gefiel der Startplatz nicht, an dem sie standen. Es lagen noch zu viele Steine und Trümmer herum. Ein paar Schritte weiter war der Boden flacher.
Wieder mussten sie etwas klettern. Beide Frauen schauten nach unten, um nicht zu stolpern.
»Gut, es geht. Toll, dass du mich hältst, Carlotta.«
»Ehrensache.«
Noch einen langen Schritt, dann hatten es die beiden Frauen wirklich geschafft. Sie standen vor den Steinen, und Carlotta überlegte, wie sie es anstellen
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