Der Mondscheingarten
Lilly heraus. »Warum hast du denn niemanden angerufen? Niemandem Bescheid gesagt?«
Oder hatte sie gar eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter zu Hause?
Bevor Jennifer Nicklaus antworten konnte, rückte glücklicherweise schon der Krankenwagen an.
Im Wartesaal des Krankenhauses waren um diese Zeit nur wenige Leute. Die meisten, die hier warteten, gehörten zu Patienten, die wie sie mit einem Notarztwagen gefahren oder ihm gefolgt waren. Da die Praxen alle noch reguläre Sprechstunde hatten, würde der große Ansturm erst gegen Abend losgehen.
Unruhig ging Lilly durch die Ecke des Raumes, die über einen Snack- und Kaffeeautomaten verfügte. Hier war sie noch am besten vor den Blicken der Krankenschwester geschützt, die sie schon zweimal um Geduld gebeten hatte.
Lilly wusste nicht, wie sie ihr klarmachen sollte, dass ihr Umherlaufen keine Ungeduld bedeutete.
Wie schön war es doch auf Sumatra, ging es ihr durch den Sinn, doch diesen Gedanken schob sie schnell beiseite. Sie war froh, dass sie ihrer Eingebung gefolgt und gleich nach Hamburg gefahren war. Sie glaubte nicht an Übersinnliches, aber dennoch war sie sicher, dass der Instinkt an ihr gezerrt und ihr die Ungeduld wegen des Videos ins Herz gepflanzt hatte.
»Frau Kaiser?«
Lilly drehte sich um und erschrak, als sie die Schwester dicht vor sich stehen sah.
»Ja, was ist?«, fragte sie ein wenig verwirrt.
»Dr. Rotenburg möchte Sie sprechen.«
Diese Worte ließen alle Müdigkeit von ihr abfallen. Sofort griff sie nach ihrer Tasche. Dabei purzelte ihre Geldbörse heraus und fiel klimpernd auf den Boden.
Mit zitternden Händen klaubte Lilly sie wieder auf, machte sich aber nicht die Mühe, sie wieder zu verstauen, sondern lief so, wie sie war, mit der Börse in der Hand, der Schwester hinterher.
Der Geruch und der Anblick der Kranken, die sie durch die offenstehenden Türen der Notaufnahmezimmer sehen konnte, ließen Lillys Magen rebellieren.
An einer Milchglastür angekommen, machte die Schwester halt, kündigte sie an und bedeutete ihr dann, einzutreten.
»O wie schön, Sie wollen mich also gleich bezahlen!«, witzelte Dr. Rotenburg, als sie sein Sprechzimmer betrat.
Lilly, die seinen Witz nicht gleich verstand, blickte ihn verwirrt an, dann fiel ihr die Geldbörse in der Hand wieder ein, und sie wurde erneut rot.
»Entschuldigen Sie, ich … mir, ist …«
»Keine Sorge, ich habe auch nicht wirklich damit gerechnet, dass Sie mich bezahlen wollen. Ihre Mutter ist ja glücklicherweise krankenversichert.«
Der Arzt bedeutete ihr, sich hinzusetzen, dann griff er nach dem Krankenblatt.
»Aber Sie sind sicher nicht wegen meiner schwachen Versuche, komisch zu sein, hier. Wenn man seit zwanzig Stunden im Dienst ist, geht einem irgendwie die Komik verloren, dafür wächst der Galgenhumor. Also sage ich Ihnen gleich, dass Ihre Mutter alles sehr gut überstanden hat.«
Lilly dankte erneut ihrem Pflichtgefühl gegenüber dem Laden und Sunny, die ihr den Film gleich in die Hand gedrückt hatte. Gar nicht auszudenken, wenn das nicht der Fall gewesen wäre …
»Wir behalten Ihre Mutter noch ein paar Stunden auf der Wachstation. Wenn dann alles in Ordnung ist, kann sie auf ihr Zimmer.«
»Und wann kann ich zu ihr?«
»Wenn sie wach geworden ist. Das wird jetzt noch ein kleines Weilchen dauern. Auf jeden Fall sieht es ganz so aus, als würden Sie noch ein bisschen Freude an ihr haben.«
31
»Hallo Ellen, ich bin’s, Lilly.« Wieder zu Hause angekommen, hatte Lilly beschlossen, ihre Freundin anzurufen. Der Besuch bei ihrer Mutter hatte sie ziemlich mitgenommen, weil sie die starke Frau, die sie großgezogen hatte, noch nie so hilflos gesehen hatte. Auch wenn deutlich zu merken gewesen war, dass es ihr wieder besserging. Dennoch wollte Lilly unbedingt mit jemandem sprechen und ihre vorsichtige Erleichterung teilen.
»Lilly!«, rief Ellen aus. »Geht es dir gut?«
»Ja, mir geht es gut, kein Grund zur Sorge.«
»Und, gibt es Neuigkeiten?«
»Ja, die gibt es«, entgegnete Lilly. »Meine Mutter ist ins Krankenhaus gekommen.«
»Was? Um Gottes willen, was hat sie denn?«
»Blinddarm. Aber sie ist bereits operiert und hat alles gut überstanden.«
»Und das sagst du mir erst jetzt? Du hättest mich doch anrufen können.«
»Hätte ich, aber ich war total durch den Wind. Ich bin jetzt in Hamburg und sehe nach dem Haus. Mein Vater ist im Moment auf Reisen, er macht eine Segeltour mit seinem Altherrenverein. Der wird einen ziemlichen
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