Der Mondscheingarten
dann und hielt ihr die Beifahrertür auf.
»Natürlich, was hast du denn erwartet?«, gab sie lachend zurück und schnallte sich an.
»Dann werde ich wohl mal schnell losfahren, nicht, dass du es dir anders überlegst.«
»Keine Sorge«, entgegnete Lilly kichernd. »Außerdem hat es nicht immer an mir gelegen, dass aus dem Abendessen nichts wurde.«
»Okay, okay, ich gebe zu, ich habe auch Schuld. Dann sollten wir diesen Abend aber wirklich genießen, das haben wir verdient, oder?«
Während der Fahrt erzählte sie ihm alles, was sie über Rose in Erfahrung gebracht hatte. Dass sie dabei kaum Luft holte, bekam sie erst mit, als sie Gabriels breites Lächeln sah.
»Es scheint dich ja wirklich gepackt zu haben«, bemerkte er, als sie doch für einen Augenblick pausierte.
Lilly spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Würde das jemals aufhören, wenn sie in seiner Nähe war? Aber genaugenommen wollte sie gar nicht, dass es aufhörte.
»Ja, das hat es.« Aber etwas anderes noch viel mehr, setzte sie im Stillen hinzu und blickte neben sich. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge zerrten sein Profil immer wieder aus der Finsternis. Wie schön er doch war! Lilly fühlte auf einmal eine brennende Sehnsucht, ein Pochen in ihrer Körpermitte, wie sie es schon lange nicht mehr gespürt hatte. Beinahe hatte sie keine Lust mehr auf das Essen, sie wollte nur noch ihn. Aber ein Schritt nach dem anderen, sagte sie sich.
Das Lokal war auch diesmal sehr gut gefüllt, und als könnte er spüren, was zwischen ihr und Gabriel vorging, platzierte sie der Kellner an einem Zweiertisch, von dem aus sie einen guten Blick auf die Themse hatten, über der ein satter runder Mond schwebte.
Viele Augenblicke lang sahen sie sich einfach nur an, und als der Kellner schließlich ihre Bestellungen aufgenommen hatte, sagte Gabriel: »Es ist schön, dass du wieder da bist. Und du siehst in deinem Kleid überaus reizend aus.«
»Danke. Du hast dir doch nicht etwa Sorgen gemacht?« Lilly lächelte unsicher, strich dann über den seidigen Stoff. Das Kleid schien ihr Glück zu bringen. Dass es Gabriel gefiel, freute sie.
»Natürlich. Ein bisschen schon, denn ich wollte ja, dass du heil wiederkommst. Offenbar hast du nicht nur das Rätsel Rose Gallway gelöst, die Reise ist dir auch ziemlich gut bekommen, wie mir scheint.«
»Ja, das stimmt, obwohl ich zugeben muss, dass ich mich manchmal ziemlich unsicher gefühlt habe.«
»Unsicher? Du?«
»Ja, alles war so neu und so fremd.«
»Das haben fremde Orte so an sich.«
»Das lag nicht an der Stadt oder dem Land. Es lag daran, dass ich allein unterwegs war. Ich habe mich in den vergangenen Jahren eingeigelt, ja ich glaube sogar, ich hatte Angst vor der Welt.« Kurz pausierte sie, dann setzte sie hinzu: »Ich möchte dir etwas erzählen. Und zwar möchte ich das, weil unter anderem auch du dazu beigetragen hast, dass ich mich in die Welt zurückgewagt habe.«
Zitternd atmete sie durch. Etwas war plötzlich in ihr aufgebrochen, fast so wie im Märchen vom Froschkönig, wo der treue Heinrich die Eisenringe um sein Herz verlor.
Die folgenden Worte kamen dann ruhig und wie von selbst aus ihr heraus. »Kurz bevor Peter starb, kam er noch einmal zu sich. Es war ein sehr seltsamer Moment, denn der Tumor hatte ihm weitestgehend die Fähigkeit genommen, zu sprechen, und meist war er in einem Dämmerzustand, von dem ich nicht wusste, ob er in ihm meine Anwesenheit überhaupt bemerkte. Doch in dem Augenblick war er auf einmal ganz klar. Er streckte seine Hand nach mir aus, streichelte über mein Gesicht, und so deutlich wie schon lange nicht mehr sagte er: ›Ich liebe dich.‹ Ich bin damals in Tränen ausgebrochen und habe ihn geküsst. Für den Bruchteil eines Atemzugs habe ich geglaubt, dass vielleicht ein Wunder geschehen würde. Mit dem Versprechen, uns am nächsten Tag wiederzusehen, verabschiedete ich mich von ihm und fühlte mich irgendwie … leicht. Leichter als an irgendeinem Tag in den Wochen davor. Am nächsten Morgen kam der Anruf. Sie sagten mir, dass Peter in der Nacht sanft eingeschlafen war …«
Sie musste pausieren, denn plötzlich waren sie alle wieder da, die Bilder, die sie so lange in sich eingeschlossen, so lange verdrängt hatte. Und mit den Bildern kam auch eine Erkenntnis. »Sein Tod hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen«, setzte sie hinzu. »Aber ich wusste, dass er mich liebt. Und als ich dich gesehen habe, als ich dir nähergekommen bin,
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