Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
fremde Hilfe in den Bus stieg.
    »Ganz recht«, murmelte ich vor mich hin. »Man muß in dieser Welt auf seinen eigenen Beinen stehen, oder sie machen einen fertig. Die Götter sind mächtige, einsame Scheißkerle, und man selbst muß genauso sein.«

 

    17.
    Um Viertel nach elf parkte ich vor Seymour's, um mich mit Cruz zu treffen. Sein Wagen stand zwar da, aber Cruz war nirgendwo zu sehen. Ich überlegte, wo er sein konnte. Und dann sah ich weiter unten an der Straße drei Streifenwagen, zwei ungekennzeichnete Detective-Autos und einen Krankenwagen.
    Da ich die ganze Zeit mit dem Jungen beschäftigt gewesen war, hatte ich keinerlei Funkdurchsagen gehört. Ich ging also auf die Stelle zu und bahnte mir einen Weg durch die Menge der Schaulustigen, die sich vor dem Drugstore auf dem Gehsteig angesammelt hatte. Wie alle anderen war auch ich neugierig.
    »Was ist denn hier los, Clarence?« fragte ich Evans, der vor dem Eingang stand.
    »Hast du denn noch nichts davon gehört, Bumper?« Evans wirkte völlig durcheinander und schwitzte stark. Sein kaffeebraunes Gesicht zuckte nervös, und er sah überallhin, nur nicht in meine Augen.
    »Wieso? Was war denn?«
    »Da war ein Raubüberfall. Ein Polizist ist rein und wurde erschossen«, klärte mich ein buckliger Schuhputzer mit einer Matrosenmütze auf.
    Mir sank das Herz in die Hosentasche, und mich überkam das unangenehme Gefühl, das alle Polizisten kriegen, wenn sie hören, daß ein Kollege erschossen worden ist.
    »Wer war's?« fragte ich und machte mir bereits Sorgen, es könnte Wilson, dieser junge Bücherwurm, gewesen sein.
    »Es war ein Sergeant«, gab der Bucklige bereitwillig Auskunft.
    Ich warf einen Blick zurück zu Seymour's und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoß.
    »Laß mich mal rein da, Clarence!« Ich lief zu dem Polizisten am Eingang.
    »Immer mit der Ruhe, Bumper. Ich darf niemanden reinlassen, und außerdem könntest du sowieso nichts tun.«
    Ich schob Evans jedoch wortlos beiseite und stemmte mich gegen die verriegelten Aluminiumschwingtüren.
    »Jetzt laß doch, Bumper!« versuchte Evans mich zurückzuhalten, aber ich riß mich los und trat mit dem Fuß gegen die Mittelachse der Schwingtür, so daß sich die Verriegelung löste.
    Die Türen flogen krachend auf, und schon stürzte ich an der Kasse vorbei in den hinteren Teil des Geschäfts. Mir kam es so vor, als wäre dieser Drugstore mindestens einen Kilometer lang gewesen. Ich rannte wie blind und leicht schwindelig zwischen den Regalreihen hindurch und riß ein paar Haarspraydosen herunter, bis ich schließlich die Gruppe von Detectives im hinteren Teil des Ladens erreichte. Ich konnte die allgemeine Aufregung körperlich spüren, und überall flammten die Blitzlichter des Polizeifotografen auf.
    Der einzige uniformierte Beamte war Lieutenant Hilliard, und es kam mir so vor, als wäre ich mindestens eine Viertelstunde lang gerannt, was das Zeug hielt, bis ich die Medikamentenabteilung erreichte, wo Cruz Segovia lag.
    »Verdammt noch mal, was …« schimpfte ein rotgesichtiger Detective los, den ich durch den feuchten Schimmer kaum sehen konnte, der sich über meine Augen gelegt hatte. Ich kniete neben Cruz nieder, der wie ein kleiner Junge aussah, als er so rücklings auf dem Boden lag, seine Mütze und seine Waffe neben sich. Von einem Kopfschuß breitete sich wie ein purpurner Heiligenschein eine leicht schaumige Blutlache aus. Links von seiner Nase war ein rot schimmerndes Einschußloch zu sehen, ein weiteres in seiner Brust war auf der blauen Uniform von weinroten Flecken umgeben. Seine Augen standen offen und waren direkt auf mich gerichtet. Die Hornhäute hatten sich noch nicht getrübt, und diese großen, traurigen Augen waren ernster und melancholischer, als ich sie je gesehen hatte. Ich kniete neben Cruz in seinem Blut nieder und flüsterte: »'mano! 'mano! 'mano! Ach, Cruz!«
    »Los, verschwinden Sie, Bumper, und zwar sofort!« Der kahlköpfige Detective packte mich am Arm. Als ich zu ihm aufblickte, kam mir sein Gesicht bekannt vor, aber ich erkannte ihn immer noch nicht.
    »Lassen Sie ihn, Leecher. Wir haben schon genug Bilder«, warf ein anderer Detective in Zivil ein, der älter war und sich gerade mit Lieutenant Hilliard unterhielt. Ihn hätte ich eigentlich auch kennen müssen. Es war ganz eigenartig. Ich konnte mich nicht an ihre Namen erinnern. Eine Ausnahme bildete nur der Lieutenant, der in Uniform war.
    Cruz sah mich so traurig an, daß ich es nicht mehr aushielt.

Weitere Kostenlose Bücher