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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
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aus, unter mir hatte ich Anette begraben, die
heftig protestierte und mit den Fäusten gegen meine Brust trommelte. Offenbar
bekam sie keine Luft.
    Mist, dachte ich. Das wird Marvin gar nicht gefallen.
    Und auch mir nicht. Vor allem nicht, dass der Kerl mir zugenickt
hatte, als würde er mich kennen. Wenn dem so war, dann lag der Vorteil ganz auf
seiner Seite, denn Sonnenbrille oder nicht, ich war mir sicher, dass ich ihn
noch nie zuvor gesehen hatte.
    Anette fing an, unter meinem Gewicht zu keuchen, also rollte ich
mich von ihr herunter, mittlerweile war die Gefahr ja wohl vorüber. Die anderen
Gäste des Bistros sahen nur verständnislos zu Lucio hin, der nun langsam von
seinem Stuhl rutschte. Eine ältere Dame hielt noch immer ihre Kaffeetasse hoch,
schüttelte dann den Kopf, nahm einen Schluck und murmelte etwas von schlechtem
Benehmen.
    Niemand schrie.
    Nur mein Telefon fing an zu klingeln. Ich ging dran.
    »Hi, Heinrich, kann ich noch zu Oskar gehen?« Das war meine Nichte
Ana Lena. Oskar war das Pflegepferd, an den sie ein Teil ihrer überschüssigen
Energie verschwendete und ihr Sinn für Timing war perfekt. »Ich bin dann
pünktlich wieder zu Hause!«
    »Mach das«, sagte ich, während ich zusah, wie das Blut von Lucio
heruntertropfte und die Pfütze auf dem Boden immer größer wurde. Irgendwie war
mir im Moment nicht so sehr danach, die üblichen Diskussionen mit Ana Lena zu
führen. Was vielleicht ein Fehler war.
    »Was ist los?«, fragte sie und bewies wieder einmal ihr Gespür. Ihre
Mutter war genauso gewesen, der hatte ich auch nur selten etwas vormachen
können.
    »Nichts«, antwortete ich ihr. »Bin nur gerade etwas beschäftigt.
Sieh einfach zu, dass du pünktlich zu Hause bist.«
    Ich legte auf und sah zu, wie ein junger Mann zu Lucio hinging und
ihn mit der Fußspitze antippte. Ich schätzte ihn auf Ana Lenas Alter, also
sechzehn oder siebzehn. Er hatte dreckig blondes Haar, das er sich mit lila
Spitzen aufgehübscht hatte. Ob’s ihm half, von der Akne abzulenken, wagte ich
zu bezweifeln.
    »Ist er tot?«, fragte ein Mädchen, das kaum älter als vierzehn sein
konnte.
    »Ich glaube schon«, antwortete der junge Mann, um gleich darauf
sagenhaften Scharfsinn zu demonstrieren: »Er hat zwei Löcher im Kopf und atmet
nicht mehr.«
    »Im Fernsehen sieht das anders aus!«, beschwerte sie sich und zog
eine Schnute. »Irgendwie voll nicht echt!«, stellte sie fest. Ich fragte mich,
was sie an der Szene auszusetzen hatte, für mich war die Sauerei blutig genug,
offenbar hatte ich schon zu lange nicht mehr ferngesehen. »Das hat ja kaum
geknallt«, erklärte sie dann auch prompt allen, die sich das Gleiche fragten.
    »Und bluten tut er auch so gut wie gar nicht«, beschwerte sich der
junge Mann. Keine Ahnung, was er wollte. Was hatte er erwartet? Einen
Springbrunnen vielleicht? Die Pfütze wurde auch so mit jedem Tropfen größer.
    »Hat schon jemand die Polizei gerufen?«, fragte ein älterer Mann
über den Rand seiner Zeitung hinweg.
    Anette war mittlerweile aufgestanden und sah sich nur fassungslos
um.
    »Sie sollten die Polizei anrufen, Fräulein«, schlug der ältere Mann
gewichtig vor. »Schließlich ist das hier Mord. Dafür ist die Polizei
zuständig.« Er faltete die Zeitung akkurat zusammen. »Hat jemand den Mörder
genau gesehen? Man will sicherlich eine Beschreibung hören.«
    »Es war ein Mann«, behauptete das Mädchen. Immerhin, das war schon
was. Sie zündete sich eine Zigarette an. Wie man heutzutage noch in dem Alter
mit Rauchen anfangen konnte, entzog sich meinem Verständnis. Zudem stand sie
direkt unter dem Rauchverbotsschild. Nun, Mord war auch verboten.
    Anette murmelte etwas Entschuldigendes in meine Richtung und eilte
hinter die Theke, wo das Telefon an der Wand hing. »Auch so ein Italiener«,
erklärte das Mädchen in der Zwischenzeit. »Oder es war ein Türke. Dunkelhäutig.
Schwarze Haare hat er gehabt und stechende Augen.« Ihre Augen glänzten. »Und
einen geilen Knackarsch.«
    Die junge Frau besaß entweder eine beachtliche Beobachtungsgabe oder
mehr als genügend Phantasie. Vielleicht auch einen Röntgenblick. Ich jedenfalls
hatte durch seine Sonnenbrille die Augen nicht sehen können. Aber schwarze
Haare hatte er gehabt, da hatte sie recht, und leicht gebräunt war er auch. Was
den Knackarsch anging, konnte ich nicht mitreden, ich sah das wohl etwas
anders. Vielleicht sollte ich Marvin dazu befragen.
    Im Hintergrund hörte ich Anette, wie sie versuchte, dem Beamten auf
der

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