Der Müllmann
trug auch er italienische Maßmode, vom Schuhleder bis zum Hemd und der Krawatte
–,
wagte sich hinein. Sie sah nur kurz auf und schenkte ihm ein feines Lächeln; er
sagte nichts, stellte sich mit den Händen in den Hosentaschen daneben und sah
sich die Sauerei ebenfalls gelassen an. Ich schloss messerscharf, dass dies ihr
Kollege sein musste. Hageres Gesicht, volles strohblondes Haar, Lachfalten, ein
permanent leicht amüsierter Gesichtsausdruck, lachende graublaue Augen, schmale
elegante goldene Uhr. Wenn dies ein Film wäre, hätte man mit ihm nie die Rolle
eines Kommissars besetzt … Ich konnte ihn jetzt schon nicht leiden. Was
natürlich nichts damit zu tun hatte, dass sie ihn angelächelt hatte.
Schließlich wandte sich ihre Aufmerksamkeit dem Rest des Raums und
damit auch uns zu, ich sah, wie sie methodisch die Augen schwenken ließ, konnte
fast hören, wie sie sich im Geiste Notizen machte, sich alles einprägte.
Auch das kannte ich von ihr.
Ihr prüfender Blick war nun bei mir angekommen. Ich ging jede Wette
ein, dass sie mit geschlossenen Augen genau beschreiben konnte, wo der Zuckerstreuer
stand und wie meine Krawatte aussah … und jetzt erschien eine feine senkrechte
Falte zwischen ihren Augenbrauen, bevor sich ihre Augen kurz weiteten, um dann
geflissentlich wieder von mir wegzusehen.
Mein eigener Gesichtsausdruck war eher neutral, mir war nach Lächeln
zumute, aber die Umstände schienen mir im Moment doch eher unpassend. Auch wenn
Lucio wohl nichts dagegen hatte. Nur dass der mich im Moment wenig
interessierte. Ich war viel eher neugierig, wie es Marietta in den letzten
zwanzig Jahren so ergangen war.
»Guten Tag«, sagte sie dann. »Ich bin Hauptkommissarin Steiler, und dies
ist mein Kollege Kommissar Berthold.« Sie musste geheiratet haben. Früher hieß
sie Bordeaux. Wie der Wein. Sie sah sich im Raum um. »Sie sind alle Zeuge des
Mordes gewesen?«, fragte sie dann.
Wir nickten brav. Ich auch. Nur war ich nicht so ganz bei der Sache.
Wer zu spät kommt, den bestraft
das Leben. Sie ist verheiratet. Vergiss es.
Ich unterdrückte einen Seufzer, und Marietta sah zu mir hin, aber
nur kurz, da die alte Dame etwas zu vermelden hatte.
»Der nicht«, sagte sie und funkelte unseren Zaungast aus blassblauen
Augen an. »Der ist erst nachher reingekommen.« Sie hob drohend einen Finger in
seine Richtung. »Der da ist nichts anderes als ein Schaulustiger, der sich an
dem Unglück seiner Mitmenschen labt!«
»Was tu ich?«, fragte dieser und schaute die ältere Dame etwas
verwirrt an.
»Sich ergötzen!«, erklärte sie ihm. »Das ist unchristlich, junger
Mann!«
»Ich mache nur meine Arbeit!«, protestierte er.
»Und Sie sind?«, fragte Marietta höflich. Die Sorte von Höflichkeit,
bei der man in Deckung gehen sollte. Unserem Herrn hier schienen allerdings
überlebenswichtige Instinkte abzugehen.
»Martin Landvogt.« Er lächelte gewinnend. »Ich bin freischaffender
Journalist.«
»Sind Sie das?«, fragte nun Kommissar Berthold leise, wirkte dabei
immer noch amüsiert. In etwa wie ein Haifisch. Die zeigten auch erst ihre
Zähne, bevor sie zubissen.
Herr Landvogt nickte. »Dies ist ein öffentlicher Ort«, versuchte er
es dann und setzte ein gewinnendes Lächeln auf.
»Dies ist vor allem ein Tatort«, erklärte Berthold. Er wies mit dem
Finger auf die Tür. »Sie gehen jetzt dort hinaus, bis hinter die Absperrung und
melden sich dann bei dem Kollegen in dem VW-Bus.« Er sah zu seiner uniformierten
Kollegin hin, die immer noch an ihrem Kaugummi kaute und gleichzeitig den
Kaffee schlürfte. Irgendwie fand ich das auch faszinierend.
»Wir haben seine Personalien«, beantwortete diese Bertholds
unausgesprochene Frage. »Nur hat er als Beruf Künstler angegeben«, fügte sie
vorwurfsvoll hinzu und nahm noch einen Schluck Kaffee. Anette hatte ihr vorhin
nachgegossen, also war der Kaffee noch heiß … ihr Schlürfen füllte die
momentane Stille, und sie wurde noch nicht einmal rot dabei.
»Das ist er wohl auch«, meinte Kommissar Berthold und sah diesen
Landvogt mit einer steilen Falte zwischen den Augenbrauen an. »Ein echter
Dichter, wenn ich mich richtig an Ihren letzten Artikel erinnere.« Mir schien
das kein Kompliment zu sein. »Soll ich es Ihnen noch mal erklären? Oder möchten
Sie in Handschellen rausgebracht werden?«
»Schon gut«, sagte Landvogt und hob die Hände. »Ich weiß, wo ich
nicht erwünscht bin.«
»Wenn man es Ihnen erklärt!«, bemerkte die ältere Frau spitz, kurz
bevor
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