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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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mein Vater.
    (Der Dialog stockte auf einen Augenblick.)
    — Ich selber bin doch recht klein, – fuhr mein Vater gemessen fort.
    — Ihr seid fürwahr recht klein, Mr
Shandy
, – sagte meine Mutter. [244]
    Ich frage mich, ob dies ein Schlüssel zu Sternes literarischer Metamorphose sein soll: Denn Sterne selbst war für seine »Größe« bekannt.
    Auch die Geister anderer Väter sind in diesem Buch verstreut. Da ist Yorick, die einzige Person, die Tristrams lebhaftes Temperament teilt; da ist Onkel Toby, dessen Exzentrizität eine »Familienähnlichkeit« erkennen lässt – »Und drum hat’s mich auch oft gewundert, daß mein Vater sich nie bemüßigt fühlte, wiewohl ich glaube, daß er seine Gründe dafür hatte, gewisse Anzeichen von Exzentrizität, die er mir in meiner Knabenzeit anmerkte, – aus der nämlichen Quelle zu erklären; denn die ganze Shandy-Familie bestand durchweg aus Originalcharaktern …« [245] Und ob dieser Satz von Tristram auf den seltsamen Dialog bezogen werden soll, der stattfindet, als Onkel Toby verkündet, dass er heiraten und Kinder bekommen möchte, kann ich wirklich nicht sagen:
    — Etliche Kinder! rief mein Vater, wobei er aus seinem Sessel hochfuhr und meiner Mutter scharf ins Gesicht sah …
    — Nicht etwa, mein lieber Bruder Toby, rief mein Vater, der sich sogleich wieder besann und dicht hinter meines Onkel Toby’s Sessel trat – nicht etwa daß es mich reuen sollte, wenn du ein halbes Schock hättest – im Gegenteil, ich würde mich recht herzlich freuen – und gegen ein jegliches, Toby, so gut als wie ein Vater sein —
    Meines Onkel Toby’s Hand stahl sich unvermerkt hinter seinen Sessel, um die meines Vaters zu drücken — [246]
    Ebenso ist da die Geschichte des Kaisers Commodus, dessen Mutter »zur Zeit ihrer Empfängnis in einen Gladiator verliebt war, woraus sich so manche Grausamkeit des
Commodus
erklärt …«. Und dann ist da die traurige Geschichte der Familienkutsche. Was passierte war, dass »damals, als das Wappen meiner Mutter dem der Shandys hinzugefügt und die Kutsche anläßlich von meines Vaters Hochzeit neu gemalt wurde«, irrtümlicherweise »oder endlich weil nun einmal alles, was unsere Familie betraf, die Neigung besaß, linkisch auszufallen […] – statt des
rechtslaufenden Schrägbalkens
, welcher uns seit der Regierung von
Harry
dem Achten schicklicherweis zukam – ein
linkslaufender Schrägbalken
, dank einer der obengenannten Widrigkeiten, quer über das
Shandy
’sche Wappenschild gezogen ward«. [247] Und so trägt Familie Shandy, wo auch immer sie ist, dieses Schandmal der Illegitimität.
    Aber dieser Roman is nicht nur anti-ödipal: Er ist anti-alles. Er beinhaltet Witze über Männer, die mit Pferden schlafen. [33] Es gibt Witze über Inzest. [34] Und vor allem gibt es eine verrückte scholastische Erörterung, die nicht nur beweist, »daß die Mutter mit ihrem Kinde nicht blutsverwandt ist – sondern der Vater ebenfalls nicht«. Denn »so sehr das Kind auch immer vom Blut und Samen der Eltern sein mag – die Eltern nichtsdestoweniger nicht vom Blut und Samen des Kindes sind.« [248] Dann gibt es noch die ständigen Andeutungen über Impotenz. Tristram wurde – vielleicht – durch ein fallendes Schiebefenster kastriert. Onkel Toby wurde – vielleicht – bei der Schlacht von Namur kastriert. Mr Shandys Alter Ego ist ein impotenter Stier. An diesem Punkt der Erzählung vervielfältigt Sterne mit großem Vergnügen die Sternchen in seiner Geschichte, sowie auch jene Sätze, die eigentlich so aussehen, als hätten sie bereits geendet, die dann aber noch weiter vervollständigt werden. Zum Beispiel, als das Fenster auf Tristrams Penis fällt: »— Nichts bleibt übrig, – rief
Susannah
, – nichts bleibt mir übrig – als daß ich nun in die Fremde gehe –.« [249] Aber gleichzeitig werden wir auch nie über die wirklichen Umstände aufgeklärt. Denn niemand in diesem Text, der so von Begierde gesättigt ist, scheint diese Dinge ausdrücken zu können. Onkel Toby sagt an einer Stelle zu Mr Shandy: »du vermehrst mein Vergnügen wirklich ungemein, indem du in deinem Alter der Familie
Shandy
Kinder zeugst. – Aber dadurch, Sir, sprach Dr. 
Slop
, vermehrt Mr
Shandy
sein eigenes. – Nicht die Bohne, sprach mein Vater.« [250] So etwas wie sexuelles Vergnügen kommt in diesem Text nicht vor. Aber das liegt vielleicht daran, dass sowohl Begierden als auch Vergnügungen etwas Freischwebendes sind: Die

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