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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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ich abermals zu mir – bedenke, du bist ein Mensch.« [231]
    Onkel Toby weiß nicht, dass Mr Shandy Servius Sulpicius Worte zitiert, mit denen dieser Cäsar tröstete, nachdem dessen Freund gestorben war. Aber natürlich mag auch der Leser nicht wissen, wen Sterne hier wirklich zitiert. In seinem Buch
Anatomie der Melancholie
bietet Robert Burton nämlich den folgenden Trost für den Tod eines Freundes:
    »Auf dem Rückweg von Asien, als ich von Ägina in Richtung Megara segelte, begann ich« (so Servius Sulpicius in einem tröstenden Brief an Tullius) »die Landschaft um mich herum zu betrachten. Ägina lag hinter mir, Megara vor mir, Piräus zu meiner Rechten und Korinth zu meiner Linken, vordem allesamt florierende Städte, die sich nun niedergestreckt und überwältigt vor meinen Augen ausdehnten!« [232]
    Oder vielmehr: Sicher ist es möglich zu sagen, dass Sterne, wie auch Mr Shandy, ganz einfach zitierte. Aber ich halte es für besser, sich hier an der Sittenlosigkeit zu weiden. Denn letztendlich schrieb Sterne schlichtweg ab. Das Plagiarisieren ist das letzte Element Sternes seltsamen Stils, das er entwarf, um die Vererbungslehre zu torpedieren. Es ist seine Art, uns zu erklären, dass niemand je irgendetwas wirklich besitzt: »Im Aberwitzigen«, schreibt einer seiner frühesten und besten Kritiker, John Ferriar, in seinem Buch
Illustrations of Sterne
, »ist er zumeist Plagiator …« [233] Alles kann aus allem entwickelt werden. So etwas wie einen Ursprung gibt es nicht.
    Ein anderes Spiel mit dem Plagiarisieren wurde im zwanzigsten Jahrhundert von Isidore Ducasse getrieben, einem jungen französischen Dichter, der sich selbst den Namen Comte de Lautréamont gab. Genau wie Sterne hatte Lautréamont das Ziel, sowohl die eigene Identität als auch die seiner Familie aufzulösen. Seine Ironie war allumfassend. Sein erstes Buch,
Les Chants de Maldoror
(
Die Gesänge des Maldoror
), war eine Parodie auf jene verhängnissvolle Stimmung, die so typisch für gotische Literatur ist. Das Resultat war aber auf so überzeugende Weise dunkel, dass es niemand veröffentlichen wollte. In seinem nächsten Buch,
Poésies
(
Dichtungen
), so kündigte er es seinem zukünftigen Verlag Poulet-Malassis an, wolle er etwas Positiveres anstellen. Und das würde er so machen, teilte er seinem Verlag mit. Indem er Abschnitte aus den Werken berühmter Autoren nähme und diese dann so veränderte, dass sie Hoffnung zelebrierten: »Ich zeige, wie sie hätten schreiben sollen …« [234] So dass Lautréamont dort, wo Pascal orthodox wiedergekaut hatte, der Mensch suche »vergeblich in äußerlichen Dingen nach Glück, ohne je zufrieden sein zu können, denn Glück ist nicht in uns, noch in den Lebewesen, sondern in Gott allein«, stattdessen schrieb, der Mensch suche »in äußerlichen Dingen nach Glück. Er ist zufrieden. Das Böse ist weder in uns noch in den Lebewesen. Es ist in Elohim.« [235] Tja: Das ist lustig; aber es ist auch die reine Blasphemie.
    »Plagiate sind notwendig«, schrieb Lautréamont. »Sie sind ein Teil jeder Art von Fortschritt.« [236]
    Das ist Sternes Spiel mit den Wiederholungen: eine absolute Respektverweigerung, eine Absage an das herkömmliche Konzept von Besitztum. Auf schwindelerregende Weise beginnt er sein Spiel mit den Vorstellungen davon, was Ursprung ist, genau am Anfang des Romans, wo er, nachdem er mit seiner eigenen Zeugung begonnen hatte, die Schwierigkeiten des Beginnens selbst erörtert:
    Aus diesem Grund freut’s mich auch recht, daß ich die Geschichte meines Lebens so und nicht anders begonnen und weiterhin jedem Ding darin, wie
Horaz
sagt, ab
ovo
nachspüren kann.
    Horaz
, ich weiß es wohl, rät von dieser Methode strikt ab … [237]
    Tatsächlich, und das ist wenig überraschend, empfiehlt Horaz das Gegenteil. In
Von der Dichtkunst
lobt Horaz Homer dafür, dass er die Geschichte der Trojaner nicht
ab ovo
erzählte, nicht mit dem Ei begann, aus dem Helena der Sage nach geschlüpft war. Stattdessen beginnt Homer
in medias res
: in der Mitte des Kriegsgeschehens selbst. Aber der Witz ist sogar noch komplizierter. Denn Sterne hat es geschafft, beides gleichzeitig hinzubekommen, und darauf soll seine falsche Zitierweise hinweisen. Sein Roman beginnt
ab ovo
 – mit dem Ei – oder genauer, dem Sperma. Aber eigentlich ist es ein Anfang
in medias res
: weil der Leser anfangs sehr verwirrt davon ist, was eigentlich vor sich geht.
    Ursachen folgen Wirkungen. Ursprünge werden wieder und

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