Der Mythos des Sisyphos
fürchterlichen Dreißigjährigen Kriege entstanden. Die ewigen Werte schweben in ihren erstaunten Augen über den weltlichen Wirren. Aber inzwischen ist die Zeit weitergegangen. Die Maler heute haben nicht mehr diese heitere Ruhe. Selbst wenn sie im Grunde den Mut haben, den der schöpferische Mensch braucht, ich meine: einen nüchternen Mut, dann nützt das nichts, denn jedermann, selbst der Heilige, ist heute mobilisiert. Gerade das habe ich vielleicht am tiefsten empfunden. Mit jeder Form, die in den Schützengräben umkommt, mit jedem Strich, jeder Metapher und jedem Gebet, das vom Stahl zermalmt wird, verliert das Ewige eine Partie. Da ich weiß, daß ich mich von meiner Zeit nicht trennen kann, bin ich entschlossen, mich mit ihr zu verbünden. Deshalb mache ich vom Individuum nicht soviel Aufhebens, weil es mir lächerlich und erniedrigt erscheint. Da ich weiß, daß es keine siegreichen Prozesse gibt, liebe ich die verlorenen Prozesse: sie fordern - in der Niederlage wie bei vorübergehenden Erfolgen - eine ganze Seele. Wer sich dem Schicksal dieser Welt verbunden fühlt, für den hat die Erschütterung der Zivilisationen etwas Beängstigendes. Ich habe diese Angst in demselben Augenblick zu der meinen gemacht, da ich mich mit der Welt eingelassen habe. Bei der Wahl zwischen der Geschichte und dem Ewigen habe ich die Geschichte gewählt, weil ich die Gewißheiten liebe. Ihrer wenigstens bin ich sicher, und wie sollte ich diese Kraft, die mich vernichtet, leugnen?
Es kommt immer eine Zeit, in der man zwischen dem Zuschauen, und der Tat zu wählen hat. Das heißt: ein Mensch werden. Diese inneren Spannungen sind fürchterlich. Aber für ein stolzes Herz gibt es keinen Mittelweg. Es gibt Gott oder die Zeit, Kreuz oder Schwert. Entweder hat diese Welt einen höheren Sinn, der ihre Unruhe überdauert, oder allein diese Unruhe ist wahr. Man muß mit der Zeit leben und mit ihr sterben, oder man muß sich ihr entziehen um eines höheren Lebens willen. Ich weiß, daß man sich abfinden und daß man in der Zeit leben und an die Ewigkeit glauben kann. Das heißt: sich bescheiden. Ich aber sträube mich gegen die Beschränkung, ich will alles oder nichts. Wenn ich die Tat wähle, so glaubt nicht, daß die Kontemplation mir fremd wäre. Sie kann mir nur nicht alles geben, und da ich der Ewigkeit beraubt bin, will ich mich mit der Zeit verbünden. Ich will weder Heimweh noch Bitternis auf meine Rechnung setzen lassen, ich will hier einzig und allein klarsehen. Ich sage es euch, morgen werdet ihr mobilisiert sein. Für euch wie für mich ist das eine Befreiung. Das Individuum kann nichts und vermag dennoch alles. Angesichts dieser wunderbaren Möglichkeiten begreift ihr, warum ich das Individuum gleichzeitig erhöhe und vernichte. Die Welt zerschmettert es, und ich befreie es. Ich setze es in alle seine Rechte ein.>
Absurde Anstrengung
Die Eroberer wissen, daß die Tat an sich nutzlos ist. Es gibt nur eine nützliche Tat: die den Menschen und die Erde verbessert. Ich werde nie die Menschen verbessern. Aber man muß so tun „als ob“. Denn auf dem Weg des Kampfes begegne ich dem Fleisch. Selbst wenn es erniedrigt wird, bleibt das Fleisch meine einzige Gewißheit. Nur mit ihm kann ich leben. Die Kreatur ist meine Heimstatt. Deshalb habe ich diese absurde und aussichtslose Anstrengung gewählt. Eben deshalb stehe ich auf der Seite des Kampfes. Die Zeit eignet sich dazu, ich sagte es schon.
Bisher war die Größe eines Eroberers geographischer Natur. Sie bemaß sich nach der Ausdehnung der besiegten Territorien. Nicht umsonst hat dieses Wort eine andere Bedeutung angenommen und bezeichnet nicht mehr den siegreichen General. Die Größe hat das Feld gewechselt. Sie liegt im Protest und im aussichtslosen Opfer. Auch da nicht etwa aus Freude an der Niederlage. Der Sieg wäre wünschenswert. Aber es gibt nur einen Sieg, und der ist ewig.
Und den werde ich nie erreichen. Dorthin ziele ich, und daran klammere ich mich. Eine Revolution erfüllt sich immer als Revolution gegen die Götter - angefangen bei der Revolution des Prometheus, des ersten modernen Eroberers. Sie ist eine Forderung des Menschen seinem Schicksal gegenüber: die Forderung des Armen ist nur ein Vorwand. Ich kann diesen Geist nur in seiner historischen Tat erfassen, und dabei vereinige ich mich mit ihm. Glaubt indessen nicht, daß ich Gefallen daran fände: angesichts des wesentlichen Widerspruchs halte ich an meinem menschlichen Widerspruch fest. Ich
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