Der Mythos des Sisyphos
Weise deutlich zu machen suche, taucht mit Sicherheit dort eine neue Qual auf, wo eine andere stirbt. Die kindliche Suche nach dem Vergessen, der Ruf nach Genügsamkeit bleiben jetzt ohne Echo. Aber die beständige Spannung, die den Menschen angesichts der Welt aufrechterhält, der anbefohlene Wahn, der ihn dazu treibt, alles aufzunehmen, hinterlassen ihm ein anderes Fieber. In dieser Welt ist dann das Kunstwerk die einzige Chance, sein Bewußtsein aufrechtzuerhalten und dessen Abenteuer zu fixieren. Schaffen heißt: zweimal leben. Das ängstliche, tastende Suchen eines PROUST, seine sorgsame Sammlung von Blumen, Wandteppichen und Ängsten bedeuten nichts anderes. Gleichzeitig hat es nicht mehr Tragweite als die fortgesetzte und unbestimmbare Schöpfung, der der Komödiant, der Eroberer und alle anderen absurden Menschen sich täglich ihr Leben lang widmen. Sie alle versuchen sich darin, die ihnen zugehörige Wirklichkeit mimisch darzustellen, zu wiederholen und neu zu erschaffen. Am Ende haben wir immer das Gesicht unserer Wahrheiten. Für einen dem Ewigen abgekehrten Menschen ist das ganze Dasein nur ein maßloses Possenspiel unter der Maske des Absurden. Das Kunstwerk ist das große Possenspiel.
Zuerst wissen diese Menschen, und dann geht ihr ganzes Bestreben dahin, die zukunftslose Insel, die sie angelaufen haben, zu vergrößern und zu bereichern. Aber zuerst muß man wissen. Denn die Entdeckung des Absurden fällt mit einer Zeit des Stillstandes zusammen, in der sich die künftigen Leiden entwickeln und ihre Rechtfertigung erhalten. Selbst die Menschen ohne Evangelium haben ihren Ölberg. Und auch auf ihrem Ölberg dürfen sie nicht einschlafen. Für den absurden Menschen geht es nicht mehr um Erklärungen und Lösungen, sondern um Erfahrungen und Beschreibungen. Alles beginnt mit einer scharfsichtigen Gleichgültigkeit.
Beschreiben - das ist der letzte Ehrgeiz eines absurden Denkens. Auch die Wissenschaft, die die Grenzen ihrer Paradoxa erreicht hat, hört auf, Vorschläge zu machen, und bleibt bei Betrachtungen und Beschreibungen der stets jungfräulichen Landschaft der Phänomene stehen. So lernt das Herz, daß die innere Bewegung, die uns vor den Gesichtern der Welt hinreißt, nicht von der Tiefe der Welt, sondern von der Mannigfaltigkeit dieser Gesichter herrührt. Die Auslegung ist vergänglich, aber der sinnliche Eindruck bleibt und mit ihm die unaufhörlichen Anrufe eines quantitativ unerschöpflichen Universums. Hier, begreift man, liegt der Ort des Kunstwerks.
Er bezeichnet zugleich den Tod einer Erfahrung und ihre Vervielfachung. Es ist wie eine eintönige und leidenschaftliche Wiederholung der Themen, die die Welt bereits durchgespielt hat: der Körper, unerschöpfliches Bild an der Giebelwand der Tempel, die Formen oder die Farben, der Wohlklang oder die Not. Es ist also nicht gleichgültig, wenn man schließlich die Hauptthemen dieses Essays in dem großartigen und kindlichen Universum des schöpferischen Menschen wiederfindet. Man hätte unrecht, wollte man darin ein Symbol sehen und glauben, das Kunstwerk könnte schließlich als eine Flucht vor dem Absurden betrachtet werden. Es ist selbst ein absurdes Phänomen, und es handelt sich einzig darum, es zu beschreiben. Es bietet der Krankheit des Geistes keinen Ausweg. Es ist im Gegenteil ein Merkmal dieses Leidens, das ihn auf das ganze Denken eines Menschen zurückverweist. Aber zum erstenmal läßt es den Geist aus sich selbst herausgehen und stellt ihn etwas anderem gegenüber, nicht damit er sich darin verliere, sondern um ihm einen genauen Fingerzeig von dem aussichtslosen Weg zu geben, den alle gehen müssen. In der Zeit der absurden Überlegung führt das Kunstwerk die Gleichgültigkeit und die Enthüllung weiter. Es bezeichnet den Punkt, von dem die absurden Leidenschaften ausgehen und bei dem die Überlegung anhält. So rechtfertigt sich seine Stellung in diesem Essay.
Es wird genügen, einige Themen ans Licht zu ziehen, die dem Künstler und dem Denker gemeinsam sind, damit wir im Kunstwerk alle Widersprüche des dem Absurden verpflichteten Denkens wieder finden. Tatsächlich ist es weniger die Identität der Schlüsse, die die geistige Verwandtschaft ausmacht, als vielmehr die Gemeinsamkeit der Widersprüche. So auch beim Denken und bei dem Kunstwerk. Ich brauche kaum zu betonen, daß es die gleiche Qual ist, die den Menschen zu diesen Arten des Verhaltens treibt. Dadurch kommen sie am Ausgangspunkt zusammen. Aber von allen
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