Der Mythos des Sisyphos
stelle meine Klarheit mitten in das hinein, was sie leugnet. Ich erhebe den Menschen angesichts dessen, was ihn vernichtet, und meine Freiheit, meine Auflehnung und meine Leidenschaft vereinigen sich dann in dieser Spannung, in diesem Scharfblick, in dieser maßlosen Wiederholung.
Ja, der Mensch ist sein eigenes Ziel. Und er ist sein einziges Ziel. Wenn er etwas sein will, dann nur in diesem Leben. Jetzt - ich weiß es nur zu gut. Die Eroberer sprechen manchmal von Siegen und von überwinden. Aber sie verstehen darunter immer nur: „sich überwinden“. Ihr wißt genau, was das bedeutet. Jeder Mensch hat sich in gewissen Augenblicken Gott gleich gefühlt. So heißt es wenigstens. Aber das kommt daher, daß er blitzartig die erstaunliche Größe des menschlichen Geistes verspürt hat. Die Eroberer sind nur diejenigen Menschen, die ihre Kraft stark genug fühlen und so die Sicherheit haben, beständig auf diesen Höhen und im vollen Bewußtsein dieser Größe zu leben. Es ist mehr oder weniger eine Frage der Berechnung. Die Eroberer können am meisten. Aber sie können nicht mehr als der Mensch an sich, wenn er nur will. Deshalb verlassen sie nie den menschlichen Schmelztiegel und tauchen mit höchster Leidenschaft in die Seele der Revolutionen.
Dort finden sie die verstümmelte Kreatur, aber dort begegnen sie auch den einzigen Werten, die sie lieben und die sie bewundern, dem Menschen und seinem Schweigen. Das ist gleichzeitig ihre Armut und ihr Reichtum. Für sie gibt es nur einen einzigen Luxus: den der menschlichen Beziehungen. Wie sollte man nicht begreifen, daß in diesem verwundbaren Universum alles, was menschlich und nichts als menschlich ist, einen lebendigeren Sinn annimmt? Gespannte Gesichter, bedrohte Brüderlichkeit, eine ebenso starke wie schamhafte Freundschaft der Männer untereinander sind die wahren Reichtümer, da sie vergänglich sind. In ihrer Mitte spürt der Geist am besten seine Machtvollkommenheiten und seine Grenzen. Gleichsam seine Wirksamkeit. Einige haben von Genie gesprochen. Ich aber ziehe dem Genie - das sagt sich so leicht - die Intelligenz vor. Man muß sagen, daß sie großartig sein kann. Sie erhellt diese Einöde und beherrscht sie. Sie kennt ihre Abhängigkeiten und macht sie sichtbar. Sie stirbt gleichzeitig mit dem Leib. Und das zu wissen, ist eben ihre Freiheit.>
Am Ende von alledem steht, trotz alledem, der Tod. Wir wissen es. Wir wissen auch, daß er allem eine Grenze setzt. Deshalb sind diese Friedhöfe, die Europa bedecken und die manche von uns stören, scheußlich. Man verschönt nur, was man liebt, und der Tod ist uns zuwider und ermüdet uns. Auch er muß erobert werden. Der letzte CARRARA, Gefangener in einem Padua, das von der Pest entvölkert und von den Venetianern belagert wurde, lief brüllend durch die Säle seines verödeten Palastes: er rief den Teufel an und forderte von ihm den Tod. Das war eine Art, ihn zu überwinden. Und es ist ein weiteres Zeichen des dem Abendland eigenen Mutes, daß man, die Plätze, an denen der Tod geehrt zu werden glaubt, so abscheulich eingerichtet hat. In der Welt des Empörers übertrumpft der Tod die Ungerechtigkeit. Er ist das schlimmste Vergehen.
Andere, die sich auch nicht abfinden wollen, haben die Ewigkeit gewählt und verkündet, diese Welt sei eine Illusion. Ihre Friedhöfe lächeln unter lauter Bäumen und Vögeln. Das ist dem Eroberer nur recht und gibt ihm die klare Vorstellung von dem, was er ausgeschlagen hat. Er hat im Gegenteil die Einzäunung mit schwarzem Eisengitter oder die namenlose Grube gewählt. Die besten unter den Anhängern der Ewigkeit empfinden zuweilen mit Hochachtung und Mitleid gemischtes Entsetzen vor Geistern, die mit einem solchen Bild ihres Todes leben können. Aber trotzdem schöpfen diese Menschen daraus ihre Kraft und ihre Rechtfertigung. Unser Schicksal steht uns vor Augen, und wir fordern es geradezu
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