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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Werk umsetzt und das, was keine Vernunft hat, mit Bildern zudeckt. Wenn die Welt klar wäre, gäbe es keine Kunst.
    Ich spreche hier nicht von Künsten der Form und der Farbe, bei denen nur die Beschreibung in ihrer glanzvollen Bescheidenheit herrscht 27 . Der Ausdruck beginnt, wo das Denken aufhört. Bei jenen Jünglingen mit den leeren Augen, die die Tempel und die Museen bevölkern, hat man ihre Philosophie in Gebärden umgesetzt. Für einen absurden Menschen ist sie aufschlußreicher als alle Bibliotheken. Von einem anderen Gesichtspunkt aus verhält es sich mit der Musik ebenso. Wenn eine Kunst frei von Belehrung ist, dann ist es wohl diese. Sie verschwistert sich zu sehr mit der Mathematik, um nicht etwas von ihrer Zwecklosigkeit anzunehmen. Dieses Spiel des Geistes mit sich selbst nach vereinbarten und genau erwogenen Gesetzen vollzieht sich in dem klingenden Raume, der der unsre ist und jenseits dessen die Schwingungen sich doch in einem unmenschlichen Universum begegnen. Es gibt keine reinere Empfindung. Diese Beispiele sind zu leicht. Der absurde Menschen erkennt diese Harmonien und diese Formen als die seinen.
    Aber ich möchte hier von einem Kunstwerk sprechen, bei dem die Versuchung auszudeuten besonders groß ist, bei dem die Illusion sich von selbst anbietet und bei dem die Schlußfolgerung fast unausweichlich ist. Ich meine den Roman. Ich werde mich fragen, ob das Absurde sich hier behaupten kann.
    Denken heißt vor allem: eine Welt erschaffen wollen (oder die eigene abgrenzen, was auf dasselbe hinauskommt), Es heißt: von dem grundsätzlichen Mißverständnis ausgehen, das den Menschen von seiner Erfahrung trennt, und seinem Heimweh entsprechend ein Gebiet des Einverständnisses finden, ein von Vernunftgründen eingeengtes oder von Analogien erhelltes Universum, das eine Lösung des unerträglichen Zwiespalts erlaubt. Der Philosoph ist, auch wenn er KANT heißt, ein Schöpfer. Er hat seine Gestalten, seine Symbole und seine heimliche Handlung. Er hat seine Lösungen. Umgekehrt bedeutet der Vorrang, den der Roman vor der Poesie und dem Essay erworben hat, allem Anschein zum Trotz nur eine größere Intellektualisierung der Kunst. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei vor allem um die bedeutendsten Romane. Die Fruchtbarkeit und die Größe einer Kunstgattung messen sich oft an dem Schund, den man in ihrem Bereich findet. Über den vielen schlechten Romanen dürfen wir nicht die Größe der besten vergessen. Gerade diese haben ihr Universum. Der Roman hat seine Logik, seine Überlegungen, seine Intuition und seine Postulate.Er hat auch seine Ansprüche auf Klarheit 28 .

    Der klassische Gegensatz, von dem ich weiter oben sprach, ist in diesem besonderen Falle noch weniger gerechtfertigt. Er galt zu einer Zeit, in der es leicht war, die Philosophie von ihrem Schöpfer zu trennen. Heute, wo das Denken nicht mehr nach dem Universellen trachtet, wo seine beste Geschichte die seiner Reue wäre, heute wissen wir, daß ein gültiges System von seinem Schöpfer nicht zu trennen ist. Selbst die ist unter einem ihrer Aspekte nur ein langatmiges und schonungsloses Bekenntnis. Das abstrakte Denken verbindet sich endlich wieder mit seinem körperlichen Träger. Und ebenso ordnen sich die romanhaften Abenteuer des Körpers und der Leidenschaften ein wenig angemessener den Forderungen einer Weltschau unter. Man erzählt nicht mehr , man schafft sein Universum. Die großen Romanciers sind philosophische Romanciers, das heißt: das Gegenteil von Thesen-Schriftstellern. So BALZAC, SADE, MELVILLE, STENDHAL, DOSTOJEWSKIJ, PROUST, MALRAUX, KAFKA, um nur einige von ihnen anzuführen.
    Aber gerade diese Entscheidung, mehr in Bildern als in Überlegungen zu schreiben, enthüllt ein gewisses Denken, das ihnen gemeinsam ist und das von der Nutzlosigkeit des ganzen Auslegungsprinzips und von der erzieherischen Sendung der anschaulich gegebenen Erscheinungen überzeugt ist. Sie betrachten das Kunstwerk gleichzeitig als ein Ende und als einen Anfang. Es ist das Ergebnis einer oft unausgesprochenen Philosophie, ihre Veranschaulichung und ihre Krönung. Aber vollständig ist es nur durch die stillschweigenden Voraussetzungen dieser Philosophie. Es rechtfertigt schließlich diese Variante eines alten Themas, daß etwas Denken vom Leben entfernt, viel Denken aber zum Leben zurückführt. Unfähig, das Wirkliche zu sublimieren, bleibt das Denken dabei stehen, es darzustellen. Der Roman, von dem hier die Rede ist, ist

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