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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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war.
    »Wieso tust du mir das an, Sven?«
    Einige Flammen waren erloschen, viele Blumen verwelkt, kein Wunder angesichts der warmen Temperaturen, aber der Kranz, der an der untersten Stufe lehnte, war vor kurzem befeuchtet worden. Von den Tannenzweigen perlten Tropfen, und die bestickte Schärpe funkelte wie neu im gleißenden Sonnenlicht.
    In tiefer Trauer
    Leon drehte sich um.
    Auch die Augen seines Freundes hatten sich mit Tränen gefüllt. »Es tut mir so leid, Leon. Aber ich finde, du solltest dich endlich der Wahrheit stellen.«
    Sven zeigte auf ein gerahmtes Foto, auf dem Natalie direkt in die Kamera lachte. Eine Fotokopie mit ausgeblichenen Rändern. Wie die meisten anderen Porträts auf den Stufen war es einer Zeitung entnommen; über ihm prangte noch die reißerische Schlagzeile:
Natalie Nader –
Das schöne Opfer des Sadisten
    »Aber das ergibt doch keinen Sinn«, flüsterte Leon.
    Das ist völlig ausgeschlossen.
    Sie hatten Natalie im Labyrinth gefunden. Ohne messbare Vitalfunktionen. Siegfried hatte die Luftröhre punktiert, die Speiseröhre angerissen. Die Bronchien hatten sich quälend langsam mit Blut und Sekret gefüllt, jeder Atemzug hatte sie dem Ende näher gebracht. Aber im bewusstlosen Zustand war Natalies Atmung stark verlangsamt gewesen, und deshalb war sie nicht sofort erstickt.
    »Sie hat überlebt«, sagte Leon und warf wütend sein Teelicht auf den Boden. Das Glas zersprang. Die Flamme erlosch. »Sie haben Natalie wieder zurückgeholt!«
    Einmal im Keller, ein weiteres Mal auf dem Weg ins Krankenhaus. Auch während der Notoperation mussten die Chirurgen mehrmals gegen die Nulllinie kämpfen, aber am Ende hatten sie den Tod wieder zurück auf seine Warteposition geschickt.
    »Sie lebt!«, schrie Leon und trat mehrere Kerzen von der ersten Stufe des Eingangs. Glas splitterte, ein Rahmen brach. »Ich war bei ihr, als sie aufwachte!«
    Natalie hatte mehrere Wochen nur flüssige Nahrung zu sich nehmen können, und ihre Stimme war seitdem verändert. Sie sprach nicht viel, schon gar nicht über das, was im Haus geschehen war, aber wenn, dann klang sie so, als habe sie sich an etwas Heißem verschluckt. Wie die Narben auf ihrer Seele waren auch die ihrer Stimmbänder für das bloße Auge nicht sichtbar. Anders als die Mulde über ihrem Kehlkopf, die beim Schlucken ihre Struktur veränderte und heller wurde.
    »Was soll der Irrsinn?«, fragte Leon mit einem kleinen Kruzifix in der Hand, das er von der Treppe aufgelesen hatte. Wütend warf er es Sven vor die Füße. »Ich habe erst vor zwei Stunden mit ihr gefrühstückt.«
    Bei uns. In unserem neuen Zuhause.
    »Nur ein Traum«, hörte er Sven sagen, der unbewegt am Fuß der Treppe stand. »Du steckst in einem Traum, aus dem du ohne fremde Hilfe nicht wieder herauskommst.«
    »Das ist SCHWACHSINN«, brüllte Leon.
    Sven streckte ihm die Arme entgegen. »Natalie ist tot, begreif das doch. Du wohnst nicht mit ihr zusammen, sondern liegst in einer Klinik. Wir haben noch fünfzehn Minuten, dann muss ich dich wieder zurückbringen.«
    »Du lügst.«
    »Wenn ich lüge, weshalb trägst du dann einen Pyjama?«
    Entsetzt sah Leon an sich herab. Seine Beine steckten in einer dünnen Seidenhose, die Füße waren nackt.
    Nein, nein, nein!
    Er schüttelte den Kopf und hörte nicht mehr damit auf, wie ein vernachlässigtes Kind, das unter Hospitalismus leidet.
    »Das ist nicht wahr. Ich bin nicht mehr in der Klinik. Ich wohne in, in …«
    Er sah Sven hilflos an, weil ihm die Adresse nicht mehr einfallen wollte. Es war ein einstöckiger Bungalow, ohne Keller, ohne Nachbarn.
    Ohne Tunnel.
    »Komm schon, du hast uns doch letzte Woche besucht. Es liegt zentral, wir haben getrennte Schlafzimmer, weil wir es langsam angehen wollen!«
    Und nachts, wenn die Tür verschlossen, die Fenster verriegelt und die Bewegungsmelder aktiviert sind, wechseln wir uns mit dem Schlafen ab.
    »Du lebst in einem Traum«, wiederholte Sven. »Wach endlich auf.«
    »Bleib mir vom Leib.«
    »Ich bitte dich, Leon. Kämpf nicht länger dagegen an.«
    »Nein, geh weg!«
    »Leon, hör doch …«
    Sven streckte erneut die Hand nach ihm aus. Es war brüllend heiß, die Mittagssonne brannte auf sie herab, aber Leon spürte nichts als Kälte.
    »Sie lebt«, weinte er, während er fröstelnd nach unten sank. »Natalie lebt.«
    Sven kniete sich zu ihm und griff nach den Händen seines Freundes. »Ich bin bei dir, Leon. Sieh mich an.«
    »Nein.« Leon zog die Beine an, vergrub das

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