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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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dass sie in jemanden verliebt ist, aber ich dachte, es sei Herr Thiessen. Bis zu dem Abend war mir nicht klar, dass du es warst. Aber ihn hat sie auch geliebt, und sie hat ihn verloren, und das lag an mir.«
    »Es war nicht deine Schuld«, sagt Marco. »Da waren viele Faktoren im Spiel.«
    »Es waren schon immer viele Faktoren im Spiel«, sagt Isobel. »Eigentlich wollte ich in das Ganze nicht so verstrickt werden. Ich wollte nur helfen. Ich wollte die Sache durchstehen … damit alles wieder so ist wie früher.«
    »Wir können nicht rückwärtsgehen«, sagt Marco. »Vieles ist nicht mehr so, wie es früher war.«
    »Ich weiß«, sagt Isobel. »Ich kann sie nicht hassen. Ich habe es versucht. Ich schaffe es nicht mal, sie nicht zu mögen. Sie hat mich jahrelang einfach machen lassen, obwohl ich ihr misstraut habe, aber sie war immer nett zu mir. Und ich habe den Zirkus geliebt. Ich hatte das Gefühl, endlich ein Zuhause zu haben, einen Ort, wo ich hingehöre. Nach einiger Zeit hatte ich nicht mehr den Eindruck, dass ich dich vor ihr beschützen muss, sondern eher, dass ich alle anderen vor euch beiden beschützen sollte und euch beide voreinander. Nach deinem Besuch in Paris, als du dich wegen des Wunschbaums so aufgeregt hast, habe ich damit angefangen, aber als ich Celia die Karten gelegt hatte, wusste ich, dass ich weitermachen muss.«
    »Wann war das?«
    »An dem Abend in Prag, als wir uns treffen wollten. Bis letztes Jahr hast du mir nie erlaubt, dir die Karten zu legen, nicht ein einziges Mal. Das war mir nie aufgefallen. Wenn ich schon vorher die Gelegenheit dazu gehabt hätte, hätte ich das vielleicht nicht so lange weiterlaufen lassen. Es hat ewig gedauert, bis ich endlich verstanden habe, was ihre Karten sagen. Ich wollte einfach nicht sehen, was direkt vor mir lag. Ich habe so viel Zeit verschwendet. Es ging immer nur um euch beide, noch bevor ihr euch kanntet. Ich war nur ein Zeitvertreib.«
    »Du warst kein Zeitvertreib.«.
    »Hast du mich jemals geliebt?«
    »Nein«, gibt Marco zu. »Ich dachte, ich könnte es vielleicht, aber …«
    Isobel nickt.
    »Ich dachte, du würdest mich lieben«, sagt sie. »Ich war mir ganz sicher, obwohl du es nie gesagt hast. Ich konnte nicht unterscheiden, was wirklich war und was ich als wirklich sehen wollte. Auch als es sich mit euch beiden länger und länger hinzog, dachte ich noch, es wäre nicht von Dauer. Aber darin habe ich mich geirrt. Von Anfang an. Ich bin diejenige, die nicht von Dauer war. Ich dachte immer, wenn sie fort wäre, würdest du zu mir zurückkommen.«
    »Wenn sie fort wäre, wäre ich nichts«, sagt Marco. »Du würdest dich herabsetzen, wenn du dich damit begnügst.«
    Schweigend stehen sie auf der leeren Straße, und die kühle Nacht legt sich zwischen sie.
    »Gute Nacht, Miss Martin«, sagt Marco und geht langsam die Treppe hoch.
    »Zeit ist am schwersten vorherzusagen«, sagt Isobel, worauf Marco stehen bleibt und sich zu ihr umdreht. »Vielleicht weil sie so viel verändert. Ich habe vielen Leuten zu unendlich vielen Themen die Karten gelegt, und immer waren Zeitpunkte am schwersten zu bestimmen. Ich wusste das, und trotzdem hat es mich überrascht. Wie lange ich bereit war, auf etwas zu warten, das nur eine Möglichkeit war. Ich dachte immer, es sei nur eine Frage der Zeit, aber ich lag falsch.«
    »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so lange gehen würde –«, setzt Marco an, aber Isobel unterbricht ihn.
    »Es war alles eine Frage der Zeit«, sagt sie. »Mein Zug hatte Verspätung an dem Tag, als du dein Notizbuch verloren hast. Wäre er pünktlich gewesen, wären wir uns nie begegnet. Vielleicht hätten wir uns auch nie begegnen sollen. Es war eine Möglichkeit, eins zu tausend, aber nicht unvermeidbar, im Gegensatz zu anderen Dingen.«
    »Isobel, es tut mir leid«, sagt Marco. »Es tut mir leid, dass ich dich in das alles mit hineingezogen habe. Es tut mir leid, dass ich dir nicht schon früher gesagt habe, wie ich zu Celia stehe. Ich weiß nicht, was du noch von mir willst. Was könnte ich dir geben?«
    Isobel nickt und zieht ihr Tuch enger um die Schultern.
    »Vor einer Woche habe ich jemandem die Karten gelegt«, sagt sie. »Er war jung, jünger, als ich es war, als ich dich traf. Hoch aufgeschossen und offensichtlich noch nicht daran gewöhnt. Er hat mich sogar nach meinem Namen gefragt. Und alles stand in seinen Karten. Alles. Es war wie eine Lesung für den Zirkus, mir ist das erst einmal zuvor passiert: als ich Celia die

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