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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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während sie sich auf die Bilder in ihrem Kopf zu konzentrieren versucht. Sie schaut wieder zu Celia. »Du bist auch da. Jemand ist bei dir, und ich glaube, es regnet, und dann bist du nicht mehr da, aber irgendwie trotzdem noch, ich kann es nicht erklären. Und dann ist Bailey da, nicht während des Feuers, sondern danach, glaube ich.«
    »Wie sieht der aus, der bei mir war?«, fragt Celia.
    »Ein Mann. Groß. Mit einem Anzug und einem Bowlerhut, glaube ich. Schwer zu sagen.«
    Celia legt kurz den Kopf in die Hände.
    »Wenn es der ist, den ich vermute, dann ist er im Augenblick mit Sicherheit in London, vielleicht steht es also doch nicht so unmittelbar bevor, wie du glaubst.«
    »Doch, ich bin ganz sicher«, widerspricht Poppet.
    »Zeitangaben waren nie deine große Stärke. Du hast selbst gesagt, dass dein Freund bei diesem Ereignis dabei sein wird, und dann kommst du und beklagst dich, dass er nicht hier ist. Es könnte noch Wochen, Monate oder Jahre dauern, bis das passiert, Pet.«
    »Aber wir müssen unbedingt etwas unternehmen«, sagt Poppet und knallt ihre Tasse auf den Tisch. Als wäre er von einer unsichtbaren Wand umgeben, schwappt der Tee nur kurz und spritzt nicht auf das danebenliegende offene Buch. »Um vorbereitet zu sein, wie du gesagt hast.«
    »Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass der Zirkus in Rauch aufgeht. Ich mache ihn so feuerfest wie nur möglich. Reicht dir das fürs Erste?«
    Poppet überlegt eine Weile und nickt.
    »Gut«, sagt Celia. »In ein paar Stunden steigen wir aus dem Zug, den Rest können wir später besprechen.«
    »Moment«, sagt Widget, der sich bisher aus der Diskussion herausgehalten hat. Jetzt wendet er sich an Celia. »Bevor du uns wegschickst, habe ich noch eine Frage.«
    »Und die wäre?«
    »Du hast gesagt, wir könnten nicht ermessen, was hier vorgeht«, sagt er.
    »Das war vielleicht nicht die beste Wortwahl.«
    »Es ist ein Spiel, oder?«, fragt Widget.
    Celia sieht ihn an, mit einem müden, traurigen Lächeln um die Lippen.
    »Du hast sechzehn Jahre gebraucht, um das herauszufinden«, sagt sie. »Ich hätte mehr von dir erwartet, Widge.«
    »Ich hatte es schon eine ganze Weile vermutet«, sagt er. »Es ist nicht leicht, Dinge zu sehen, von denen du nicht willst, dass ich sie weiß, aber in letzter Zeit habe ich mir einiges zusammengereimt. Du warst nicht so wachsam wie sonst.«
    »Ein Spiel?«, fragt Poppet und schaut zwischen ihrem Bruder und Celia hin und her.
    »Wie ein Schachspiel«, sagt Widget. »Der Zirkus ist das Brett.«
    »Nicht ganz«, sagt Celia. »Es ist nicht so einfach wie Schach.«
    »Wir spielen alle ein Spiel?«, fragt Poppet.
    »Nicht wir«, sagt Widget. »Sie und noch jemand. Wir Übrigen sind, nun ja, Statisten?«
    »So ist es nicht«, sagt Celia.
    »Wie ist es dann?«, fragt Widget.
    Als Antwort sieht Celia ihm nur unverwandt in die Augen.
    Widget hält ihrem Blick eine Zeitlang stand, während Poppet die beiden neugierig betrachtet. Schließlich blinzelt Widget, die Überraschung auf seinem Gesicht ist offensichtlich. Dann senkt er den Blick auf seine Schuhe.
    Celia seufzt und wendet sich nun an beide.
    »Wenn ich euch gegenüber nicht ganz ehrlich war, dann nur, weil ich sehr viel weiß, das ihr bestimmt nicht wissen wollt. Bitte vertraut mir, wenn ich euch sage, dass ich versuche, die Sache zu richten. Es ist eine extreme Gratwanderung, bei der viele Faktoren mitspielen. Im Augenblick ist es am besten, wir nehmen alles so, wie es kommt, und grämen uns nicht um Dinge, die passiert sind, oder Dinge, die vor uns liegen. Einverstanden?«
    Widget nickt, und Poppet tut es ihm widerstrebend gleich.
    »Danke«, sagt Celia. »Und jetzt geht bitte und versucht euch ein bisschen auszuruhen.«
    Poppet umarmt sie, bevor sie aus der Tür in den Gang schlüpft.
    Widget bleibt noch einen Moment.
    »Es tut mir leid«, sagt er.
    »Dir muss nichts leid tun«, entgegnet Celia.
    »Es tut mir trotzdem leid.«
    Er küsst sie auf die Wange und geht ebenfalls hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.
    »Worum ging es da eben?«, fragt Poppet.
    »Sie hat zugelassen, dass ich sie lese«, sagt Widget. »Alles, ohne etwas zu verbergen. Das hat sie noch nie getan.« Mehr möchte er nicht dazu sagen, als sie leise durch den Zug zurückgehen.
    »Was meinst du, was sollen wir tun?«, fragt Poppet, sobald sie ihren Wagen erreicht haben, wo ein orangefarbenes Kätzchen auf ihren Schoß krabbelt.
    »Warten. Ich glaube, mehr können wir im Augenblick nicht tun.«
    *
    Wieder

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