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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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schwer, zwischen Schlafen und Wachsein zu unterscheiden«, sagt Tara und zupft erneut an ihren Ärmelspitzen. »Ich mag es nicht, wenn man mich im Dunkeln lässt. Und ich glaube auch nicht gern an unmögliche Dinge.«
    Mr Barris nimmt seine Brille ab und wischt die Gläser mit einem Taschentuch sauber, dann hält er sie ins Licht, um nach übriggebliebenen Flecken zu suchen.
    »Ich habe vieles gesehen, was ich früher für unmöglich oder unglaublich gehalten hätte. Ich stelle fest, dass ich für solche Dinge keine klar definierten Kenngrößen mehr habe. Ich erledige meine Arbeit nach bestem Gewissen und lasse andere die ihre tun.«
    Er zieht eine Schreibtischschublade auf, sucht darin kurz etwas und holt dann eine Visitenkarte heraus, auf der nur ein Name steht. Obwohl Tara die Schrift verkehrt herum sieht, kann sie mühelos das A und das H entziffern, wenn auch sonst nichts. Mr Barris nimmt einen Bleistift und schreibt eine Londoner Adresse unter den gedruckten Namen.
    »Ich glaube, keiner von uns wusste an jenem Abend, worauf er sich einlässt«, sagt er. »Wenn du unbedingt tiefer in die Sache eintauchen willst, kann wahrscheinlich nur er dir helfen. Ich weiß allerdings nicht, wie entgegenkommend er ist.«
    Er schiebt Tara die Visitenkarte über den Tisch zu. Sie begutachtet die Karte, als hege sie Zweifel an ihrer Echtheit, und steckt sie erst dann in ihre Handtasche.
    »Vielen Dank, Ethan«, sagt sie, ohne ihn anzusehen. »Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
    »Gern geschehen, meine Liebe«, erwidert Mr Barris. »Ich … ich hoffe, du findest, wonach du suchst.«
    Tara nickt nur zerstreut, und dann unterhalten sie sich über weniger wichtige Themen, während die Nachmittagsstunden verstreichen und das Licht vor den Milchglasfenstern immer schwächer wird. Als er sie zum Abendessen einlädt, lehnt sie höflich ab und verabschiedet sich.
    Mr Barris kehrt an seinen Zeichentisch zurück, und das Kratzen des Bleistifts und das Ticken der Uhr verfallen wieder in rhythmischen Einklang.

Der Schirm des Zauberers
    PRAG, MÄRZ 1894
    D as große Schild, das heute Abend am Tor des Cirque des Rêves hängt, ist mit geflochtenen Bändern geschmückt, die sich bis knapp über das Schloss um die Gitterstäbe schlingen. Die Buchstaben sind so groß, dass man sie schon aus einiger Entfernung erkennt, aber die Leute stehen trotzdem direkt davor, um es zu lesen.
    Aufgrund schlechten Wetters geschlossen
    steht da in kunstvoller Schrift, umgeben von verspielt gemalten grauen Wolken. Manche Leute lesen das Schild sogar zweimal, blicken dann auf die untergehende Sonne und den klaren violetten Himmel und kratzen sich am Kopf. Sie stehen herum. Einige warten darauf, dass man das Schild vielleicht entfernt und der Zirkus öffnet, aber niemand ist zu sehen, und irgendwann zerstreut sich die kleine Menge auf der Suche nach anderen Vergnügungen für den Abend.
    Eine Stunde später geht es los. Es gießt in Strömen, der Wind kräuselt das gestreifte Zeltleinen. Das Schild am Tor tanzt schimmernd im Wind.
    *
    Am anderen Ende des Zirkus, wo nichts auf ein Tor hinweist, der Zaun aber dennoch einen Durchlass hat, tritt Celia Bowen aus dem Schatten der dunklen Zelte in den Regen und spannt mit einiger Mühe ihren Schirm auf. Es ist ein großer Schirm mit einem schweren gebogenen Griff, und als sie ihn endlich geöffnet hat, bietet er recht guten Schutz vor dem Regen. Die untere Hälfte ihres weinroten Kleids ist dennoch so schnell durchnässt, dass sie fast schwarz wirkt.
    Auf dem Weg in die Stadt folgt ihr kaum ein Blick, aber wessen Blick könnte man bei einem solchen Regenguss auch schon auf sich ziehen? Sie begegnet nur einer Handvoll anderen Fußgängern, alle halb unter einem Schirm verborgen.
    Schließlich tritt Celia in ein hell erleuchtetes Café, das trotz des Wetters gut besucht ist. Sie stellt ihren Schirm zu den anderen in den Ständer an der Tür.
    Es sind noch einige Tische frei, aber Celia fällt ein Stuhl am Kamin ins Auge, gegenüber von Isobel, die vor einer Tasse Tee in ein Buch vertieft dasitzt.
    Celia war sich nie ganz sicher, was sie von der Wahrsagerin halten soll. Wobei sie ohnehin ein angeborenes Misstrauen gegenüber allen hegt, die von Berufs wegen Leuten erzählen, was sie hören möchten. Außerdem hat Isobel manchmal denselben Blick in den Augen, wie er Celia oft bei Tsukiko auffällt – ein Blick, der besagt, dass sie mehr weiß, als sie verrät.
    Doch für jemanden, der sich mit dem Vorhersagen der

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