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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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macht, echt ist. Ich gab zurück, dass ich sie beim Wort nehmen oder sie für eine Lügnerin halten müsste, was ich mir bei einer so hübschen Frau aber nicht im Traum vorstellen könne. Und dann fragte sie, was ich entwerfen würde, wenn ich von Einschränkungen wie der Schwerkraft befreit wäre. Das war der Anfang des Karussells, aber ich nehme an, das wissen Sie schon.«
    »Ich dachte es mir«, entgegnet Marco. »Obwohl ich mir nicht sicher war, inwieweit Sie wissentlich einbezogen waren.«
    »Ich bin in der Lage, mich nützlich zu machen – so sehe ich das Ganze. Ich glaube, Bühnenmagier engagieren Ingenieure, um ihre Tricks als etwas erscheinen zu lassen, das sie nicht sind. In diesem Fall erweise ich den entgegengesetzten Dienst: Ich trage dazu bei, tatsächlicher Zauberei den Anschein einer klugen Erfindung zu geben. Miss Bowen bezeichnet das als Erdung, das Unglaubhafte glaubhaft machen.«
    »Hatte sie etwas mit dem Sterngucker zu tun?«, fragt Marco.
    »Nein, der Sterngucker basiert auf reiner Mechanik. Ich kann Ihnen die Pläne zeigen, wenn ich sie in diesem Chaos finde. Die Idee kam auf einer Reise zur Columbian Exposition in Chicago Anfang des Jahres zustande. Miss Bowen hielt ihn für perfekt. Ich glaube allerdings, dass sie hinter der reibungslosen Funktionsweise des Sternguckers steckt.«
    »Dann sind Sie ja im Grunde auch ein Magier«, sagt Marco.
    »Vielleicht tun wir einfach nur ähnliche Dinge auf unterschiedliche Weise«, entgegnet Mr Barris. »Ich wusste, dass Miss Bowen irgendwo einen Gegner hat, aber ich dachte, wer immer es sei brauche keine Hilfe. Die Papiertiere zum Beispiel sind verblüffend.«
    »Danke«, sagt Marco. »Bei meinem Versuch, mir Zelte ohne vorgefertigte Pläne auszudenken, habe ich ziemlich viel improvisiert.«
    »Und weshalb sind Sie jetzt hier?«, fragt Mr Barris. »Weil Sie etwas brauchen, was auf einem Bauplan beruht?«
    »Vor allem wollte ich Gewissheit haben, ob Sie über das Spiel informiert sind«, sagt Marco. »Sie wissen, ich könnte dafür sorgen, dass Sie unsere gesamte Unterhaltung vergessen.«
    »Oh, eine solche Vorsichtsmaßnahme ist nicht nötig«, sagt Mr Barris und schüttelt energisch den Kopf. »Ich versichere Ihnen, dass ich neutral bleibe. Ich ergreife nicht gern Partei. Ich assistiere sowohl Ihnen als auch Miss Bowen so viel oder so wenig, wie jeder möchte. Was Sie oder Miss Bowen mir im Vertrauen erzählen, bleibt bei mir. Ich werde gegenüber dem anderen kein Wort darüber verlieren. Sie können mir glauben.«
    Während Marco darüber nachdenkt, richtet er einen umgestürzten Schachtelhaufen auf.
    »In Ordnung«, sagt er. »Obwohl ich zugeben muss, Mr Barris, dass es mich überrascht, wie bereitwillig Sie sich auf das alles einlassen.«
    Mr Barris kichert zur Antwort.
    »Ich gebe zu, dass ich in der gesamten Truppe der am wenigsten wahrscheinliche Kandidat dafür bin«, sagt er. »Aber seit meinem ersten Mitternachtsdinner finde ich die Welt weitaus interessanter, als ich sie mir je hätte vorstellen können. Liegt das daran, dass Miss Bowen einem starren Karusselltier aus Holz Leben einhauchen kann oder daran, dass Sie mein Gedächtnis beeinflussen könnten oder daran, dass der Zirkus die Grenzen des für mich Vorstellbaren überwindet, bevor ich überhaupt daran dachte, dass Magie auch echt sein könnte? Ich weiß es nicht. Aber ich möchte es gegen nichts eintauschen.«
    »Und Sie bewahren meine Identität vor Miss Bowen?«
    »Ich werde ihr nichts verraten«, verspricht Mr Barris. »Sie haben mein Wort.«
    »In diesem Fall«, sagt Marco, »wäre mir Ihre Hilfe in einer Angelegenheit sehr willkommen.«
    *
    Als der Brief ankommt, fürchtet Mr Barris kurz, Miss Bowen könnte über die Wende der Ereignisse verärgert sein oder nachfragen, wer denn nun ihr Gegner sei, da sie inzwischen mit Sicherheit weiß, dass er selbst ihn kennt.
    Als er den Brief jedoch öffnet, steht auf dem beiliegenden Blatt Papier nur: Darf ich etwas hinzufügen?
    Er schreibt zurück, das Ganze sei ausdrücklich so entworfen worden, um von beiden Seiten ergänzt zu werden, sie möge also hinzufügen, was immer sie wolle.
    *
    Celia geht durch einen Gang voller Schnee. Die glitzernden Flocken fangen sich in ihrem Haar und bleiben an ihrem Kleidersaum haften. Sie streckt die Hand aus und sieht lächelnd zu, wie die Kristalle auf ihrer Haut verschwinden.
    Der Gang ist gesäumt von Türen. Celia entscheidet sich für eine ganz am Ende und zieht beim Betreten des Raums eine Spur

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