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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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klar: Alles ist mit dem Wettstreit verbunden, Vergangenheit und Zukunft.
    Gleichzeitig scheint es eher eine Lesung für den Zirkus als für Celia gewesen zu sein, aber es schwingen so starke Gefühle mit, dass für die Einzelheiten kein Raum mehr bleibt. Isobel packt die Karten zusammen und steckt sie zu den anderen. Beim Mischen gerät Le Bateleur nach oben. Sie runzelt die Stirn, sieht sich dann im Café um und entdeckt ein paar vereinzelte Gäste mit Hüten. Der von ihr gesuchte ist jedoch nicht dabei.
    Sie mischt weiter, bis der Magier unauffindbar im Stapel verschwunden ist, dann steckt sie die Karten ein, widmet sich wieder ihrem Buch und wartet allein das Ende des Regens ab.
    *
    Draußen regnet es heftig, und die erleuchteten Fenster entlang der dunklen, fast menschenleeren Straßen sehen aus wie Lichtpunkte. Trotz des kalten Windes ist es nicht so kalt, wie Celia erwartet hatte.
    Sie selbst kann nicht gut Tarotkarten lesen, es gibt einfach zu viele Möglichkeiten und Bedeutungen. Aber durch Isobels Hinweis auf bestimmte Elemente konnte sie die verflochtenen Gefühle und die bevorstehende Offenbarung sehen. Sie weiß nicht, was sie von alldem halten soll, hofft aber trotz ihrer Skepsis, dass es ihr Gewissheit über die Identität ihres Gegners bringt.
    Während Celia in Gedanken versunken weitergeht, merkt sie, dass ihr ziemlich warm ist. Zumindest genauso warm wie im Café mit Isobel am Kamin, wenn nicht sogar noch wärmer. Außerdem ist sie vollkommen trocken. Ihr Mantel, ihre Handschuhe, selbst ihr Kleidersaum. Obwohl es weiterhin schüttet, spürt sie nicht einen einzigen Tropfen. Der Wind lässt den Regen aus den verschiedensten Richtungen kommen, gegen alle Gesetze der Schwerkraft. Aus tümpelartigen Pfützen spritzen Tropfen nach oben oder sie wehen von der Seite heran, aber Celia spürt sie nicht. Selbst ihre Stiefel sind kein bisschen nass.
    Am großen Platz bleibt Celia stehen und betrachtet die riesige astronomische Uhr, auf der die geschnitzten Apostel trotz des Wetters ihre festgelegte stündliche Aufwartung machen.
    Reglos steht sie da. Der Regen fällt so dicht, dass sie nur ein paar Schritte weit sehen kann, aber ihr ist weiterhin warm, und sie bleibt trocken. Sie streckt die Hand unter dem schützenden Schirm vor und betrachtet sie genau – nicht ein einziger Tropfen berührt sie. Und die Tropfen, die ihrer Hand nahe kommen, ändern plötzlich die Richtung und prallen ab, als wäre sie von einer unsichtbaren Hülle umgeben.
    Mit einem Mal ist Celia sich ziemlich sicher, dass sie nicht ihren Schirm in der Hand hält.
    »Entschuldigen Sie, Miss Bowen.« Die Stimme übertönt den Regen und hallt über den Platz. Eine Stimme, die sie schon erkennt, bevor sie sich umdreht und Marco hinter sich stehen sieht. Er ist vollkommen durchnässt, und vom Rand seines Bowlerhuts fallen Tropfen. In der Hand hält er einen geschlossenen schwarzen Schirm, der genauso aussieht wie ihrer.
    »Ich glaube, Sie haben meinen Schirm«, sagt er mit einem Grinsen, das unschuldig sein soll, dafür aber zu gerissen ist.
    Celia sieht ihn überrascht an. Was hat Chandreshs Assistent in Prag zu suchen, wenn er doch eigentlich in London lebt, überlegt sie. Und wie ist er in den Besitz eines solchen Schirms gekommen?
    Während sie ihn verwirrt ansieht, fügen sich langsam die Teile des Puzzles zusammen. Sie erinnert sich an jede Begegnung mit dem Mann, der vor ihr im Regen steht, entsinnt sich seiner Bestürzung nach ihrer Zauberprobe, der Blicke und Bemerkungen, die sie in all den Jahren als kokette Flirtversuche gedeutet hatte.
    Und sie erinnert sich an den ständigen Eindruck, er sei gar nicht wirklich da, weil er sich immer so im Hintergrund gehalten hatte, dass sie seine Anwesenheit manchmal vergaß.
    Früher hatte sie das als Zeichen für seine Eignung als Assistent gewertet und dabei nie in Erwägung gezogen, dass und wie sehr ein solches Auftreten täuschen kann.
    Mit einem Mal kommt Celia sich ziemlich dumm vor, dass sie ihn nie als ihren Gegenspieler in Betracht gezogen hat. Und dann fängt sie an zu lachen, ein heiteres Gekicher, das mit dem prasselnden Regen harmoniert. Marcos Grinsen gefriert. Er blinzelt sich das Wasser aus den Augen und beobachtet sie.
    Es dauert eine Weile, bis Celia sich wieder gefangen hat, dann macht sie einen tiefen, vorbildlichen Knicks und gibt ihm seinen Schirm zurück. Der Regen erwischt sie kurz mit voller Wucht, so dass sie nach Luft schnappt. Marco übergibt ihr den identischen

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