Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
ausgefragt wurde. Deshalb also hatte der EH das Gespräch künstlich in die Länge gezogen. Was
hatten sie gesucht? Bens Tonband! Wussten sie davon? Hatten sie ihn vom Flughafen abgeholt, um zu verhindern, dass er wie Ben ein solches Tonband
verstecken und an andere weiterleiten konnte? Waren die Anspielungen der EHs auf subversives Material aus Asien darauf gemünzt? Aron sprang auf und riss
seinen Schrank auf. Er hatte das Band vor seiner Abreise zwischen die Musikkassetten gestellt, die er in einer Schuhschachtel aufbewahrte. Alles schien
unberührt. Die Kassette lag zwischen den anderen, wie er sie hinterlassen hatte. Und doch beruhigte sich Aron nicht. Es wäre besser gewesen, das Band zu
vernichten. Er fiel wieder auf sein Bett und schloss die Augen. Er wollte über die Entwicklung der Organisation nachdenken, über Maßnahmen, wie die Liga
wirklich zu spiritualisieren sei, über innere Reinheit als Voraussetzung für jede höhere Position in der Hierarchie, stattdessen sprangen zerstückelte
Erinnerungen an die Geschehnisse der vergangenen Wochen durch seinen Kopf. Einige wollte er festhalten, wollte ihnen nachspüren, doch sie zogen ihn nur
tiefer in ein verwirrendes Drehen von Bildern und Gedanken, das überfloss in unruhige, gehetzte Träume.
Das einzige, das nach dem Erwachen in seine Erinnerung wehte, war das Bild der Brücke über dem feuerdurchtobten Abgrund, die Brücke, auf der er stand und
taumelte, erstarrt in auswegloser Angst. Als er in seiner Not begann, das Hju zu singen, heftig wie ein Stoßgebet, spürte er, dass er wieder Halt fasste,
dass eine unsichtbare Kraft ihn in ihre Hände nahm und führte. Fest und unerbittlich war der Griff dieser Macht. Aron fühlte ihr Halten wie eine
Umklammerung, die das Herz einschnürte und den Atem beengte. Doch er stand nun sicher auf der klingenbreiten Brücke, erleichtert, dass der tödliche Sturz
abgewendet war, überzeugt, dass das Hju ihn gerettet hatte, dass sein unerschütterlicher Glaube an die Grundfesten der Liga richtig war. Hingabe an das Hju
war der einzige Weg, die Brücke sicher zu queren. Doch etwas Unbekanntes nahm jetzt von ihm Besitz, etwas, gegen das er sich nicht zu wehren vermochte, das
seinen Willen ausschaltete, das ihn zur anderen Seite des Abgrunds zog, dorthin, wo der Bogen der Brücke endete, in ein Reich ewiger Nacht, schwarz wie ein
All ohne Sterne und von einer vibrierenden Energie erfüllt, die Arons Bewusstsein auslöschte wie die Flamme einer Kerze.
Kapitel 15
Das gelbe Buch VII
„Wir stecken in einer verdammten Zwickmühle! Mensch, Ted! In welchen Morast haben wir uns da bloß reingeritten? Wir müssen aussteigen, solange es noch
möglich ist.“ Lange verdrängte Emotionen brachen sich Bahn in mir.
„Zu spät!“ Ted hob bedauernd die Hände.
„Du klingst wie ein Mafia-Pate, der einem die Wahl lässt zwischen weitermachen und an die Wand gestellt werden.“
„Die Liga ist schlimmer als die Mafia. Das mit dem Aussteigen hättest du dir früher überlegen müssen.“
„Was hindert mich daran, die größten Sender des Landes zu einer Pressekonferenz einzuladen und vor laufenden Kameras anhanden unanfechtbarer Dokumente zu
beweisen, dass die Liga Schwindel ist, ein Spiel mit der Macht, ein Experiment mit der Leichtgläubigkeit der Leute, das leider ein bisschen zu weit
gegangen ist.“
„Ein bisschen zu weit ist gut gesagt.“
„Viel zu weit, entschieden zu weit, unerträglich zu weit. Nenne es wie du willst.“
„Wunderbare Idee. Ein gefundenes Fressen für die Medien. Eine kleine Krise in der Liga, die bald überwunden wäre. Anschließend ein herrlicher
Schadenersatzprozess, eine Gegendarstellung, in der – übrigens völlig zu Recht – zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Walt Mason keinerlei Befugnis
besitzt, im Namen der Liga Aussagen zu treffen, sondern nur der Meister selbst, in diesem Fall Mahaguru Gordon Blake. Der aber gibt mit ernstem Bedauern
bekannt, dass es auf hohen geistigen Wegen leider vorkommt, dass spirituell unreife Menschen vom Größenwahn ergriffen werden und so weiter und so fort. Im
schlechtesten Fall vollstreckt irgendein fanatischer Liga-Fundamentalist die Strafe des Hju an dir und macht dich zum seligen Märtyrer, im besten Fall
darfst du auf einem Marathonlauf durch Musterbrecher- und Deprogrammierungsschulungen die Verdunklung deines Bewusstseins beichten und porentief rein
waschen. Ich kann dir gerne Details auftischen, wenn du möchtest.“
„Gut,
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