Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
gewählt. Wir hatten seine Akte und seine Briefe an die Mahagurus Jason und Blake im Archiv des Hauptquartiers eingehend studiert, hatten durch
Privatdetektive diskret Erkundungen über seine Vergangenheit und seine derzeitigen Lebensumstände eingeholt, ihn bei einer Führerschaftsschulung persönlich
in Augenschein genommen und uns nach reiflicher Überlegung für diesen unscheinbaren Liga-Pionier entschieden.
Geboren in einem Fischerdorf in Maine in einem streng katholischen Elternhaus entwickelt sich Andersen zum frommen, introvertierten Musterknaben. Zur
Freude der Eltern äußert er früh den Wusch, Priester zu werden. Später schreibt er an Jason, eine innere Stimme habe ihn zu dem Entschluss getrieben, für
seine Berufung zu Gott alle weltlichen Bindungen aufzugeben. Die Eltern und der örtliche Pfarrer fördern den Wunsch des Jungen und stacheln seinen Ehrgeiz
an. Als Schüler des Seminars neigt Andersen zu Mystik und Grübelei. In einem seiner frühen Briefe an Jason spricht er von Lichterfahrungen und luziden
Träumen, die er damals für Offenbarungen Jesu Christi gehalten habe, die in Wirklichkeit aber natürlich Erscheinungen der uralten Adepten gewesen waren.
Seine Briefe an Jason und Blake quellen über von solchen phänomenalen Erlebnissen.
Es versteht sich von selbst, dass solche Schwärmer in der Ausbildung zum katholischen Priester wenig Chancen haben. Die moderne Kirche braucht keine Franz
von Assisis, sondern Woytilas und Ratzingers. Es verwundert also nicht, dass Andersen sein Priesterstudium abbricht und sich einer fundamentalistischen
Urchristenvereinigung anschließt, der es um direkte ekstatische Erfahrung Christi geht. Als seine entsetzten Eltern ihn umzustimmen versuchen, bricht er
jeden Kontakt zu ihnen ab. Er erlebt mehrere heftige Erweckungserfahrungen, spricht vor der Gemeinde in Zungen, wirkt an Taufen, Exorzismusritualen und
angeblichen Wunderheilungen mit, beginnt zu predigen. Ein Vorzeigechrist, klein, blass, schmächtig, aufgrund eines Unfalls als Schuljunge auf einem Bein
unmerklich hinkend, mit leiser, weinerlicher Stimme und leuchtenden Augen; die Karikatur eines reinherzigen Gotteskindes, innerlich aber von der
fanatischen Entschlossenheit eines Savonarola. Sein Lebenswandel entspricht diesem Bild nicht. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, lebt in
ärmlichen Verhältnissen, ohne Freunde, ohne Partnerin, keusch, zurückgezogen, immer wieder ruhelos den Wohnort wechselnd, nicht selten von milden Gaben
anderer Sektenmitglieder sein Leben fristend. Aber auch bei der Sekte hält es ihn nicht lange. Enttäuscht von einer Betrugsaffäre, in die führende
Gemeindemitglieder verwickelt sind, verlässt er die Gruppierung. Er versucht sich mit asketischen Praktiken der alten Wüstenväter, fastet, bis seine
ohnehin schwächliche Gesundheit Schaden leidet, verbringt Nächte im Gebet und beim Studium der Bibel, verpflichtet sich zu strengen Gelübden – kein
Alkohol, kein Fleisch, kein Sex, kein Fernsehen und Kino, keine Besitztümer außer dem Lebensnotwendigen. Eine Reihe mystischer Erlebnisse und psychischer
Auffälligkeiten sind die Folge und machen ein geregeltes Auskommen in der Gesellschaft unmöglich. Andersen wird von der Polizei aufgegriffen, als er eines
Nachts predigend durch die Straßen irrt. Man hält ihn für betrunken, steckt ihn in die Ausnüchterungszelle und lässt ihn am anderen Morgen wieder laufen.
Andersen berichtet später diese Erfahrungen an Jason und deutet sie so, dass er von der Macht des Hju ergriffen durch die Straßen wanderte, um die
schlafenden Menschen in ihren Häusern zu segnen. Kurz danach, so schreibt er, sei ihm in einer grandiosen inneren Erfahrung die Beschränktheit des
christlichen Glaubens und der wahre Weg zu Gott gezeigt worden, der Weg der Liga. Einer der uralten Adepten sei ihm erschienen, ein Greis mit weißem Bart
und brennenden Augen. Er habe ihn in eine pyramidenförmige, vom Schein offener Feuer erfüllte Kammer geleitet und ihn dort in das heilige Mantra Hju
eingeführt. Eine reinigende Flamme habe ihn ergriffen und von aller Verblendung befreit. Mit dieser überwältigenden Vision habe sein Leben neu begonnen.
Auf wundersame Weise sei ihm am darauf folgenden Tag Jasons Buch
Welten der Wahrheit
in die Hände gefallen. Er habe es gelesen, seine tiefe
Wahrheit erkannt und sei auf der Stelle Mitglied der Liga geworden.
In den Schriften Jasons öffnet sich eine neue Welt für ihn. Er studiert die
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