Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
auf diese Aufgabe vorzubereiten. Ted wusste geschickt die
Abneigung Andersens gegen die weltlichen Aspekte der Liga auszunutzen. Schonungslos klärte er den Mahaguru über die geschäftlichen Machenschaften auf, über
die finanziellen Spekulationen, die Panetta über seine Anwälte und Berater abwickelte, über die Machtkämpfe im Hauptquartier und in den Liga-Zentren. Er
verschaffte ihm Einblick in Jasons wirklichen Werdegang, in die Umstände seines Todes, in die Tatsachen, die Gordon Blake zum Mahaguru gemacht hatten, in
die Rolle Janes in der Liga, in die Strategien zur Unterwanderung von Politik, Wirtschaft und Medien, in die unermessliche Machtgier Panettas, die das
alles vorantrieb. John, dem Andersen am meisten vertraute, bestätigte Teds Berichte und auch ich trug in manchem Gespräch dazu bei, dass der Mahaguru
begann, von der Liga-Organisation abzurücken. Wir isolierten ihn vom Hauptquartier, entzogen ihn dem Einfluss Panettas, der alles versuchte, Einfluss auf
den neuen Mahaguru zu gewinnen und ließen in Andersen den Glauben reifen, er sei als Mahaguru, als geistiger Führer der Menschheit, in einer Organisation
gefangen, die jede Beziehung zu ihrer eigentlichen spirituellen Aufgabe verloren hatte, die dominiert wurde von Panetta und seinen Ethik-Hütern. Wir
schürten sein Misstrauen gegen die EHs, sprachen von Verrätern und bezahlten Spitzeln in ihren Reihen. Wir nutzten Kens neurotische Ängste, die in
unregelmäßigen Schüben auftraten, die ihn aus Furcht vor Attentätern und Geheimagenten veranlassten, bei Seminaren nachts mehrmals das Hotelzimmer zu
wechseln, ihn zu ruhelosen Umzügen und sogar zum Anmieten von Geheimwohnungen zwangen. Vor allem John nahm sich in solchen schweren Stunden geduldig seiner
an. Oft war er der einzige, der wusste, wo Ken zu erreichen war. Andersen klammerte sich an uns als seine einzigen Freunde, öffnete sich immer stärker
unserem Einfluss. Schon bald betrachtete er John, Ted und mich als Keimzelle einer „neuen Liga“ und sich selbst als den ersten legitimen Mahaguru, der sein
Amt tatsächlich aus den Händen des Hju empfangen hatte. Jason war nun in seinen Augen ein Erwählter, der das Hju gekostet, ihm aber nicht demütig genug
gedient hatte und stattdessen auf den Weg weltlicher Macht irregeführt worden war, Gordon hingegen ein gefallener Engel, den das Hju schwer für seine
Vermessenheit bestraft hatte. Im Zentrum von Andersens Selbstbild standen seine eigenen spirituellen Erfahrungen, sein Tanz auf dem Hochhaus im Zustand der
Erleuchtung, seine Träume und überhitzten mystischen Fantasien, die ihn sein Leben lang begleitet hatten. Dies war der einzig harte Kern seines
wachsweichen, beeinflussbaren Wesens. Ted bestärkte ihn in seinen Überlegungen, schmeichelte geschickt Andersens mystischer Eitelkeit, pflanzte ihm die
Vision ein, dass es Andersens Aufgabe sei, die Liga zu ihren wahren göttlichen Wurzeln zurückzuführen, gleich um welchen Preis.
„Vielleicht ist es nötig, die Liga in ihrer jetzigen Form aufzulösen, um eine neue, wahre Liga zu begründen,“ brachte Andersen eines Tages zaghaft hervor,
als Ted und ich ihn nach Hause fuhren. Er war niedergeschlagen nach einer langwierigen Strategiesitzung im Hauptquartier, in der es um nichts anderes
gegangen war als um Mitgliederzahlen, Umsätze und Gewinne.
„Ein gordischer Knoten ist nur durch einen beherzten Schwertstreich zu lösen,“ gab Ted zur Antwort.
Andersens Augen begannen zu leuchten. Diese Bemerkung schien ihm wie eine Eingebung des Hju, eine Lösung aller Probleme, die er unschlüssig in sich wälzte.
„Das Hju ist Gefangener einer irregeleiteten Organisation. Seine Macht wird missbraucht. Doch der Mahaguru wird die Fesseln abschütteln und das Hju
befreien. Nur die wahrhaftig Auserwählten werden dem Mahaguru auf diesem dornigen Weg zur Wahrheit folgen, wie einst das Volk Israel Moses auf der
entbehrungsreichen Wanderung durch die Wüste folgte, fort von den Fleischtöpfen Ägyptens, um das gelobte Land zu finden.“
Unsere Saat war aufgegangen.
„Wir müssen es wagen,“ sagte Ted.
„Wann?“
„Beim nächsten Hauptseminar!“
Kapitel 18
Die Audienz
Aus dem grellen Neon einer Empfangshalle wurde Aron durch lange, düstere Flure in ein halbdunkles Zimmer geführt. Erst als sich seine Augen an die
Dämmerung gewöhnt hatten, erkannte er, dass er sich in einem engen, niedrigen Raum befand, was ihn verwunderte, denn er hatte die Vorstellung gehabt,
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