Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
gruselt angenehm, und wenn man sich damit auch seine Feinde vom Hals schaffen, reich werden und jede Frau rumkriegen kann, noch besser. Alles
Humbug, sagst du zurecht mit deinem von abendländischer Wissenschaft aufgeklärten Geist. 99 Prozent davon ist in der Tat Humbug, Trick, Schwindel,
Aberglaube, Taschenspielerei oder aber psychologisch einwandfrei erklärbar. Allenfalls Stoff für Artikel in Sensationsblättern oder Werbung für okkulte
Versandhäuser. New-Age-Horror zur Unterhaltung der abgestumpften Massen. Auch Jason hat in seinen frühen, heute verschollenen Schriften ausgiebig in diesen
Themen geschwelgt. Er kannte sich recht gut damit aus, hat sich lange damit beschäftigt, bevor er Schüler von Nazir Ji wurde. Er hatte sicher selbst die
eine oder andere Technik drauf. Vielleicht erklärt das seine Wirkung auf die Leute. Wie dem auch sei – das eine Prozent, das übrig bleibt, beherrscht eine
Kunst, die in allen Kulturen bekannt war und im Prinzip auch sehr einfach ist: die Kunst, mit Gedanken umzugehen, erst mit den eigenen und dann mit denen
anderer Leute. Die Kunst, geistige Kräfte umzuwandeln, bewusst zu beherrschen, zu manipulieren und willentlich zu lenken. Es sind gewaltige Energien, auf
die man sich da einlässt. Keiner weiß wirklich, welche Macht Gedanken innewohnt. Natürlich spielt jeder von uns ein wenig damit, denn es ist offenbar eine
Fähigkeit, die jeder Mensch natürlicherweise besitzt. Auf mehr oder weniger harmlosen Gebieten gelingt es vielen Leuten auch recht gut, mit dieser Kunst
etwas zu bewegen, in der Werbung, in der Politik, in den Medien. Das ist alles auch wissenschaftlich akzeptiert. Die Herren Psychologen wissen genau, wie
es geht und verdienen viel Geld damit, solche akademisch getarnte Tricks in ihren Seminaren für Führungskräfte und Werbeleute weiterzugeben. Auch viele
Schulungen der Liga vermitteln den Atmas nichts anderes als Abarten solcher Psychotechniken: Positives Denken, Autosuggestion und ähnliche Dinge sind nur
erste Schritte in nebulöse Grenzgebiete der Magie. Aber das bewegt sich alles noch innerhalb der besagten 99 Prozent. Es ist ein Unterschied, ob du, meist
mit großem materiellen Aufwand, in einem Menschen den Wunsch erzeugst, ein bestimmtes Waschpulver zu kaufen oder gerade den einen Kandidaten zum
Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen, oder ob es dir gelingt, völlig ohne äußerliche Beeinflussung, ganz im Stillen, in jemandem Depressionen und
den Wunsch zu erzeugen, sich selbst umzubringen, und zwar so, dass auch der Selbstmörder glaubt, es sei ganz alleine seine eigene Idee gewesen. Oder ob es
gelingt, durch die präzise ausgerichtete und gebündelte Kraft von Gedanken ein fremdes, vielleicht schon schwaches Herz zum Flattern zu bringen oder im
rechten Augenblick eine schwarze Wand vor die Sinne zu schieben, damit der Betroffene einen Unfall hat, und sonst noch so einige Nettigkeiten, die niemand
auf Fremdeinflüsse zurückführen würde.“
„Willst du damit sagen…“
„Ich will damit sagen, dass es in der Liga vermutlich keinen gibt, der so etwas könnte. Selbst Panetta ist zu vordergründig machtgierig, zu besessen von
dem Wunsch, Mahaguru zu werden, zu emotional verwickelt in diesen ganzen Streit, als dass er den nötigen kühlen Kopf besäße, solche Manipulationen
durchzuführen. Und Andersen ist zu naiv. Ein Idealist, der von hehren religiösen Idealen träumt, der fastet und sich kasteit, um sich seiner Rolle als
Mahaguru würdig zu erweisen, wie John mir erzählt hat, und dem es am liebsten wäre, wenn aus der Liga eine Sekte fanatischer Asketen würde; lauter kleine
in mystischer Glut brennende, spröde, keusche Ken Andersens. Oder wenigstens eine kleinbürgerliche, puritanische Gemeinde von Schwärmern, die von einem
besseren Leben in den Welten der Wahrheit träumen, hinter jeder Ecke den mahnenden Zeigefinger des Hju erspähen, aber trotzdem gehorsam, demütig und den
Mahaguru liebend das irdische Jammertal durchschreiten, mit einem geistigen Horizont, der über das Einfamilienhaus am Stadtrand, zwei fromme Kinder und die
nächste Deproschulung nicht hinausreicht. Aber ich schweife ab…“
„Das beantwortet alles nicht die Frage, wer denn nun – und das willst du mir ja wohl sagen – die Gedanken von Gordon Blake so manipuliert hat, dass er
einfach so an einen Betonpfeiler rast.“
„Ich weiß es nicht. Ich hatte nur einen interessanten Traum letzte Nacht, der mir zu denken gibt.
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