Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
der
Mahaguru würde seine Besucher in einem unermesslich weiten, nahezu grenzenlosen Saal empfangen, einer Halle, die dem Tempel glich, den er in seinem Traum
auf Bali gesehen hatte, einem Dom, der Tausende von Menschen zu fassen vermochte. Die Erinnerung an den Traum, die gerade jetzt durch seinen Kopf schoss,
steigerte seine Erregung. Die Tür schloss sich hinter ihm. Der Ethik-Hüter, der ihn geführt hatte, war geräuschlos zurückgeblieben.
Es herrschte drückend feuchte Wärme. Das Gebäude war angenehm temperiert gewesen, hier aber, im streng abgeriegelten obersten Stockwerk des Hauptquartiers,
schien seit Langem die Klimaanlage ausgefallen. Aron spürte, wie Schweißperlen auf seine Stirn traten, doch er wusste nicht, ob es die Nervosität war, die
seinen Körper zu solchen Reaktionen zwang oder diese erstickende Schwüle. Jetzt erst bemerkte er, dass auf einem Sofa an der Wand, fast verloren in der
Dunkelheit, jemand saß und ihn stumm betrachtete. Der Mahaguru! Aron zuckte zusammen und verbeugte sich unbeholfen.
„Guten Tag, Aron,“ sagte eine Stimme, die Aron von unzähligen Tonbandaufzeichnungen kannte und die er noch vor wenigen Tagen auf dem Hauptseminar gehört
hatte, aber für einen Moment wollte ihm scheinen, als würde jemand die Stimme des Mahaguru nur imitieren. Sie klang weich und leise und die Worte flossen
mit schleppender Langsamkeit. „Komm doch näher und setze dich zu mir.“
Die Stimme war gütig und ruhig, und doch durchfuhr sie Aron mit einem Schauer von Kälte. Für einen Augenblick fröstelte er trotz der Tropentemperaturen.
„Es ist nicht nötig, dass du nervös bist,“ sagte der Mahaguru und vollführte eine ruckartige Handbewegung, die seinen Gast einlud, Platz zu nehmen. Die
Sessel für Gäste standen in respektvoller Entfernung von dem schmalen Sofa, auf dem der Mahaguru saß, sodass Aron die Gesichtszüge Ken Andersens in der
Dämmerung kaum zu erkennen vermochte. Er war in einen Umhang gehüllt, der seinen Körper ganz verbarg. Es schien, als sitze der Kopf des Mahaguru lose auf
einem unförmigen grauen Gebilde. Zögernd nahm Aron Platz. Der Sessel, auf dem er sich niederließ, war so weich, dass Aron darin zu versinken glaubte. Doch
er hielt es nicht für schicklich, sich entspannt zurückzulehnen und blieb mit vorgebeugtem Oberkörper auf der vordersten Kante sitzen.
„Ich gratuliere dir. Du bist einer der besten Akademieabgänger dieses Jahres weltweit,“ sagte der Mahaguru.
Aron stammelte etwas Unverständliches. Noch immer erfüllte ihn die Tatsache, dass er dem Mahaguru, der Verkörperung höchsten Bewusstseins, dem Herrn des
Universums, alleine in diesem Zimmer gegenübersaß, dass er ein Privileg genoss, um das ihn Tausende beneideten, mit zitternder Unruhe. Er glaubte die
Ausstrahlung des Meisters wie elektrisches Prickeln auf der Haut zu spüren. Ob die Hitze in diesem Zimmer eine Wirkung seiner hohen spirituellen Energie
ist, dachte Aron, doch er verwarf den Gedanken sogleich, versuchte seinen Geist zur Ruhe zu zwingen, ihn ganz auf die Gegenwart des Mahaguru auszurichten.
„Die Liga braucht hingebungsvolle Atmas wie dich, wenn sie ihre Ziele auf diesem Planeten erreichen will,“ sagte die Stimme.
Aron starrte verschämt zu Boden. Das Gefühl, unwürdig zu sein, überwältigte ihn plötzlich. Seine Vergehen gegen die Ethik der Liga, die er den EHs und
Crapp hatte verschweigen können, begannen jäh in ihm zu schreien. „Der Mahaguru ist verkörperte Wahrheit. Vor dem Mahaguru vergeht jede Lüge wie Schnee in
heißer Sonne,“ hieß es im
Buch der Erleuchtung
. Aron fühlte, dass es wirklich so war. Obwohl er das Gesicht des Mahaguru nur verschwommen sehen
konnte, spürte er die Augen des Meisters aus dem Halbdunkel auf sich gerichtet, glaubte, dass sie wie ein Feuerstrahl in sein Inneres drangen. Er hielt
seinen Blick zu Boden gerichtet und atmete schwer. Sein Mund war staubtrocken.
„Was bedrückt dich, Aron?“, fragte der Mahaguru. In seiner Stimme schwang kein Mitgefühl, sondern eisige Kälte, obwohl der Klang seiner Worte ruhig und
sanft war.
Nervös zuckte Aron die Schultern. Er wusste, dass er den Mahaguru nicht belügen konnte. Er dachte an Ben, an Walt Mason, an Judith. „Ich habe mich zu
Zweifeln an der Liga hinreißen lassen,“ flüsterte er zerknirscht. „Ich habe Gespräche geführt, die ein Atma nicht führen darf und ich habe mit Personen
gesprochen, mit denen ich besser nicht gesprochen hätte, denn sie
Weitere Kostenlose Bücher