Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
sich spürte, vervielfachte sich die Stärke der
fremden Kraft in einer jähen Eruption. Aron spürte, wie sich sein Bewusstsein willig dem dunklen Wesen ergab. Als habe er sich durch das Singen des Hju
endgültig preisgegeben, als sei jeder Widerstand plötzlich gebrochen, strömte die Schattenmacht in ihn ein. Aron bäumte sich noch einmal verzweifelt gegen
den Eindringling in sein Bewusstsein, doch vergebens. Je heftiger er sich wehrte, desto rascher schwand die Kraft seiner Gegenwehr, desto stärker wurde der
Anteil des Fremden in ihm. Der Klang des Hju hallte nun wie von selbst in ihm wider, verband sich mit der fordernden Macht, zog sie in Aron hinein. Er
wollte schreien, doch sein Körper war schon fern, er spürte ihn nicht mehr, der Gedanke an Atem und Herzschlag schien nur mehr Erinnerung. Sein erwecktes,
elektrisiertes Bewusstsein trieb hilflos in der Gewalt der immer noch schwellenden Kraft.
„Komm, komm,“ hörte er in sich rufen, leise, lockend, doch jedes Mal, wenn sich die Stimme vernehmen ließ, fuhr lähmendes Zucken der Angst durch Aron. Das
Zimmer, in dem sein Körper schlief, versank im Nichts. Aron war nur mehr ein Punkt der Wahrnehmung in einem grenzenlos dunklen Raum, reines Sehen, reines
Hören, reine Angst. Doch er spürte das Schattenwesen neben sich, wusste, dass die Kraft, die sich in diesem Geschöpf verkörpert hatte, ihn führte. Mit
tiefem Summen klang das Hju in ihm und in dem endlosen leeren Raum. Alles schien zu einem zu schmelzen. Schwärze umgab ihn für Augenblicke oder für Äonen.
Die Zeit hatte sich aufgelöst in lichtlose Unendlichkeit. Angst vor ewiger Vernichtung ergriff Aron, so wie er sie gefühlt, als er in jener Nacht des
Feuertanzes auf Bali in ein vergangenes Leben geblickt hatte. Die Worte des Mahaguru bei seiner Audienz fielen ihm ein. Nein, er würde das Hju nie wieder
verraten, er würde dem Mahaguru die Treue halten und wenn es sein Leben kostete; jedes Sterben des Körpers galt gering gegen die furchtbare Strafe des Hju,
die hinausgriff über die Grenzen von Leben und Tod, die sich mit glühenden Krallen ins Bewusstsein schlug, vor der es kein Entrinnen gab, weder in diesem
noch in kommenden Leben. Aron ließ das Hju wieder in sich rollen, gab sich dem Mantra hin, auch wenn er spürte, dass nun die Grenzen seines Ich zerflossen,
dass die schwarze Kraft vollkommen Besitz von ihm ergriff, dass der Wille des formlosen Wesens sein Bewusstsein erfüllte und sich verband mit dem seinen.
Jetzt wusste Aron auch, wer ihn führte – Avatar Yortam war gekommen, ihn aus dem Körper zu nehmen und über den Abgrund des Feuers zu bringen. Im gleichen
Augenblick lösten sich schemenhafte Formen aus dem Dunkel. Aron sah die Brücke des Windes. Mühelos glitt er über den klingenscharfen Bogen, geleitet von
der Schattenmacht, die jetzt in ihm selbst wohnte. Der Wind, der über die Feuerschlucht brauste, die Glut, die tief unten im Abgrund schwelte, vermochten
ihn nicht zu gefährden. Aron spürte einen Hauch von Triumph, erinnerte sich an die Angst, die er gefühlt, als er in seinem Traum am Rand dieses Abgrundes
gestanden war, vor dem Bogen der Brücke, wissend, dass kein gewöhnlicher Sterblicher sie zu überschreiten vermochte. Die Macht des Hju ließ ihn spielerisch
darüber hinfliegen. Aron dachte an den Mahaguru. Er hatte ihm Einblick gewährt in uralte Verstrickungen des Karma, die sich heute, in der Gegenwart, zu
lösen begannen. Diesmal würde er nicht versagen. Er würde sich der Gnade des Hju würdig erweisen. Einen Augenblick lang blitzte die Erinnerung an Judith in
ihm auf. Auch sie würde zurückfinden auf den wahren Weg des Hju. Auch sie würde den Nokam dienen. Es würde das Zeichen seiner Liebe sein, sie auf den
rechten Weg zurückzuführen. Sie würde verstehen, wenn er ihr von der Audienz beim Mahaguru berichtete. Wie ein Sturm tobte jetzt das Mantra der Liga in ihm
und zugleich in den weiten dunklen Räumen über der Brücke. Es war die zu Klang gewordene Macht der Nokam. Aron schauderte in tiefer Angst davor, zugleich
wusste er, dass sie ihn vor allem Übel auf seinem Weg über die Feuerschlucht bewahrte. Aron versank erneut in Finsternis, glaubte für einen Augenblick,
darin zu verlöschen, jede Erinnerung an ein Ich zu verlieren. Das Land jenseits der Brücke, das Land der Nokam, war erreicht. Aron spürte, wie sich an
diesem Ort die Macht vervielfachte, die von Avatar Yortam ausströmte. Sie erfüllte die Weite des leeren
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