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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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Frühzeit der Liga. Die Atmas waren begeistert. Ich sah einige Minuten auf einem
    der Monitore zu, die überall in den Foyers das Seminarprogramm übertrugen. Ein Kameraschwenk ging über das Publikum, das über eine Pointe Nancys
    ausgelassen lachte. Morgen würden sie nicht mehr lachen.
    Andersens Vortrag am gleichen Abend war von ungewöhnlichem Ernst. Steif wie eine Puppe saß er auf der Bühne. Er war bleich wie eine Wand, trug seine Rede
    langsam, mit großen Denkpausen vor. Seine Strenge übertrug sich augenblicklich auf das Publikum, das fiebernd an seinen Lippen hing. Hinterher hörte man
    die Leute sagen, der Mahaguru sei mit diesem Vortrag in eine höhere Dimension der Erkenntnis vorgestoßen. Man liebte ihn mehr als sonst an diesem Abend.
    Andersen sprach über Ehrlichkeit zu sich selbst und zu anderen, über die Notwendigkeit, sich an jedem Punkt des Lebens immer wieder neu zu prüfen, ob der
    Weg, den man gehe, noch der richtige sei und über die Notwendigkeit, sich über jede Trägheit des Gewohnten hinwegzusetzen. Auch die Liga müsse sich immer
    wieder dieser Prüfung stellen, alle Atmas, alle Lireps, selbst der Mahaguru. Die Rede war eine perfekte Vorbereitung für das, was Andersen am nächsten Tag
    plante, aber noch ahnte niemand, wohin sie wirklich zielte. Viele Atmas weinten vor Erschütterung, als Andersen an diesem Abend den Segen des Mahaguru
    erteilte. Als die Menschen aus der Halle strömten, knatterte hoch am Himmel der Hubschrauber, der Andersen in sein geheimes Quartier zurückbrachte.
    Der wichtigste Tag eines Hauptseminars war der Samstag. Das Programm begann am Vormittag mit einer Spezialschulung für alle Atmas ab der neunten
    Einweihungsstufe, in der sie auf das Motto für das nächste Liga-Jahr eingeschworen wurden. Atmas, die sich besondere Verdienste bei der Verbreitung des Hju
    erworben hatten, wurden geehrt, die Zielsetzung für das neue Jahr festgelegt, bevor ein zweistündiges Motivationsmarathon die Teilnehmer systematisch in
    einen Rausch der Begeisterung und Hingabe an dieses Ziel hochschaukelte.
    „Die Wahrheit des Hju in jedem Augenblick des Lebens verbreiten,“ lautete das Motto des kommenden Jahres, um das sich auch die meisten Vorträge nach der
    Mittagspause drehten. Zum Abschluss des Nachmittagsprogramms sprach Patrick Panetta zu den Atmas. Er trat auf wie ein künftiger Mahaguru, griff Punkte aus
    Andersens Vortrag über Ehrlichkeit und Veränderung auf und vertiefte sie. Um die Zeit bis zum Abend rascher vergehen zu lassen, saß ich zwei oder drei
    Stunden in der Halle und hörte den Vorträgen zu. Die Selbstsicherheit, die Panetta bei seiner Rede ausstrahlte, rührte meine Erregtheit noch stärker auf.
    In der Abendpause ging ich hinter die Bühne und gratulierte Panetta zu seinem Vortrag. Seine Augen leuchteten. Die Atmas waren von seiner Rede angetan,
    hatten ihn mit ungewöhnlich langem Beifall verabschiedet. Ich nickte ihm wissend zu, aber in seinen Augen blitzte abweisende Kälte, die mich erschreckte.
    Wir aßen zusammen in der leeren VIP-Lounge, bewacht von den grimmigen Männern in Schwarz, die ihre Aufgabe bisher mit höchster Professionalität erfüllt
    hatten. Wir unterhielten uns über Belanglosigkeiten, überbrückten das innere Schweigen, das zwischen uns stand, mit lebhaftem Small Talk. Eine Szene wie
    aus einem Film: Zwei Lügner unterhalten sich gegenseitig mit ihren Lügen und tun alles, um den anderen noch so lange hinzuhalten, bis die Wahrheit ans
    Licht kommt. Wir spielten unsere Rollen brillant, überboten uns an Freundlichkeit und Heiterkeit, rissen Witze, lachten ausgelassen. Kurz bevor wir zur
    Bühne hinuntergingen, rief Ted auf meinem Handy an.
    „Alles in Ordnung?“, fragte er. „Beginnt das Programm pünktlich?“
    „Ja, Patrick und ich wollten gerade hinuntergehen. Kommt ihr rechtzeitig los?“
    „Der Heli ist startklar. Wir fliegen Punkt acht.“
    „Gut, dann bis gleich.“
    Als wir durch den Sicherheitsring hindurch in den Bühnenbereich kamen, spielten bereits die
Heavenly Lights
vor der voll besetzten Arena, eine
    professionelle Band der besten Musiker der Liga, deren Platten und Konzerte auch außerhalb der Liga-Kreise Erfolg hatten. Sie waren eines der
Aushängeschilder, mit denen die Liga bewies, wie viel Freude und Fröhlichkeit sie der Welt zu schenken vermochte. In der Tat veranlasste die Musik der
Heavenly Lights
viele Teenager, die eigentlich kaum Interesse an spirituellen Dingen hatten, Mitglieder der Liga zu

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