Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
werden. Die Stimmung in der
Halle war am Kochen. Die
Heavenly Lights
spielten einen Hit nach dem anderen. Das Publikum jubelte. Dazwischen spielten sie Songs, die sie nur in
Liga-Konzerten brachten, Lieder von frühen Seminaren, die unter den Atmas als Klassiker galten und vor Kurzem auf der CD „For the Atmas“ erschienen waren.
Die Hälfte des Reingewinns dieses Albums floss der Missionskasse der Liga zu. Bei dem alten Liga-Schlager „Home to God“ sangen die Leute im Saal begeistert
mit. Bei der Schnulze „Mahaguru is Love“ flossen die Tränen in Strömen. Die
Heavenly Lights
beherrschten ihr Publikum souverän.
Panetta und ich saßen schweigend nebeneinander und lauschten der Musik und dem sich nach jedem Stück steigernden Beifall. Zuletzt brachten die
Heavenly Lights
ihren neuesten Hit „The Power of Hju“, von dem die Liga-Blätter schrieben, er sei die positive Antwort auf die zerstörerische
Popmusik der Gegenwart. Das Publikum forderte eine Zugabe, ungewöhnlich für ein Liga-Seminar, bei dem alles auf den Mahaguru wartete, aber wir hatten auch
das in unserem Zeitplan berücksichtigt. Nun erklang ein ruhiges, von Flöten und akustischen Gitarren begleitetes Liebeslied an den Mahaguru, das die Leute
in der Halle einstimmen sollte auf den folgenden Hju-Gesang und den Auftritt Ken Andersens. Als die glockenreine Stimme der Sängerin die simple, eingängige
Melodie vortrug, die fast schon als Hymne der Liga galt, schien die Rührung des Publikums auf mich überzugreifen. Es war mir, als sähe ich im Zucken eines
Augenblicks mein Leben an mir vorbeihuschen, die kurzen Jahre der Jugend und die endlose Zeit, in der die Liga mein Dasein bestimmt hatte. So leer war
dieses Leben gewesen, ausschließlich von Äußerlichkeiten geprägt, eine gelebte Lüge. Ich musste schmunzeln, als ich daran dachte, dass solche blitzartigen
Rückschauen angeblich Sterbenden widerfahren, dass heute Abend aber nur die Liga sterben sollte und für mich ein neues, ein freies, ein erfülltes Leben
beginnen würde. Doch das weiche Gefühl der Wehmut, das mich erfasst hatte, wollte nicht nachlassen. Es ließ mich die Ereignisse, die sich gleich in rascher
Folge aneinanderdrängen sollten, wie durch einen Schleier wahrnehmen, als seien sie Traumbilder. Vielleicht aber war ich nur eingetaucht in die Wellen der
Gefühlsseligkeit, die nun, da die
Heavenly Lights
ihr Lied beendeten und mit betonter Bescheidenheit die Bühne verließen, im Publikum
aufbrandeten. Alle wussten, dass der große Augenblick bevorstand, der Auftritt des Mahaguru. Vielleicht befand er sich schon hinter der Bühne und lauschte
denselben Klängen wie sie. Die Atmas wussten nicht, dass Andersen im Heli einflog und vom Seminar nicht das geringste mitbekam. Das Podium, auf dem die
Musiker gestanden hatten, versank im Bühnenboden. Der Sessel Andersens wurde in die Mitte der riesigen Bühne geschoben, dazu ein Tischchen mit
Wasserkaraffe und Glas. Die Bühnenarbeiter verließen sofort danach den Sicherheitsbereich und begaben sich auf ihre Plätze in der Halle. Eine charmante
junge Dame verlas einige Ansagen, kündigte eine Pause von fünf Minuten an und verabschiedete sich. Nun waren Panetta und ich neben den Sicherheitsbeamten,
die außen die Zugänge bewachten oder durch die leeren Garderoben patrouillierten, die einzigen Menschen im weitläufigen Bühnenbereich.
Panetta hielt die Augen geschlossen und bereitete sich auf seinen Auftritt vor. Ich betrachtete sein Gesicht aus den Augenwinkeln, die scharfen, kantigen
Züge, die selbst jetzt, in der Entspannung seiner Meditation, hart und verkrampft wirkten. Er war nervös. Sein Atem ging flach und heftig. Ich musste
lächeln. Die bittere Weichheit, die mich vorhin überfallen hatte, klang in mir nach und nahm mir jede Aufregung vor dem Kommenden. Sollten die Dinge
geschehen, die geschehen mussten.
Schließlich gab sich Panetta einen Ruck, stand auf, sah auf die Uhr und nickte mir zu. Ich nickte mit einem Lächeln zurück. Er knöpfte sein Sakko zu,
strich es glatt und trat hinaus auf die weite, in gleißendes Licht getauchte Bühne.
Kapitel 20
Jenseits der Brücke
Still öffnete sich der schwarze, zeitlose Raum des Tiefschlafs. Auf einmal war Licht. Aron spürte eine Wachheit, die er nie zuvor, weder in seinen Träumen
noch in seinem Tagesleben jemals erfahren hatte. Er nahm mit tausendfach geschärften Sinnen wahr. Aron erlebte diesen Zustand als selbstverständlich, wie
etwas, das ihm
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