Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
belauerten sie sich wie Raubkatzen.
Meine Beziehung zu Edith wurde immer gespannter. Sie steigerte sich in einen hysterischen Kult um Jason und die Liga hinein. Sein Bild stand in allen
Zimmern unseres Hauses, seine mit persönlichen Widmungen versehenen Bücher galten als Heiligtümer, unsere Gespräche drehten sich nur noch um den Mahaguru.
Selbst meine alten Freunde, die von der Liga kaum etwas wussten und auch nichts wissen wollten, wurden von Edith mit missionarischem Eifer bearbeitet,
sodass sich viele stillschweigend von uns zurückzogen. Immer wieder gab es Streits, die sich an Einwänden entzündeten, die ich Edith entgegenhielt,
manchmal nur an Formulierungen, die ihr nicht gefielen oder die sie mir im Mund herumdrehte. Sie duldete keinen Widerspruch, kannte die Wahrheitsbriefe und
Bücher Jasons auswendig und wusste auf jede Frage eine Antwort daraus zu zitieren. Ohne dass ich es recht bemerkte, war mein Leben nun rund um die Uhr von
der Liga bestimmt. Die Tage verbrachte ich meist im Hauptquartier, die Abende mit einer von Jason und der Liga schwärmenden Edith. Um meinen eigenen Verlag
kümmerte ich mich kaum noch.
„Verkauf ihn doch,“ riet Edith mir, „was willst du mit diesen Reiseführern und dem unnützen Esoterikkram. Wir haben jetzt den Mahaguru gefunden, wir sind
Eingeweihte und brauchen all diese Dinge nicht mehr. Sie halten uns nur vom Wesentlichen ab.“ Sie drängte mich auch, den Großteil der Einnahmen, die mir
aus der Liga zuflossen, der Organisation zu spenden, denn es seien Gelder, die allein dem Mahaguru gehörten. Zermürbende Streitgespräche folgten solchen
Vorschlägen, denen ich mich natürlich vehement widersetzte.
Einige Wochen nach dem ersten Seminar kam unser Sohn Benjamin auf die Welt. Hätten wir uns nicht seit Langem auf diesen Namen – den Namen meines Vaters
übrigens – geeinigt, er hätte wohl Howard heißen müssen. Jason vollzog an Ben den ersten Taufritus der Liga, der das Kind für das Hju öffnen sollte. Es war
offensichtlich, dass Jason die Zeremonie, die in unserem Haus stattfand, improvisierte, im
Buch der Erleuchtung
aber, an dem er gerade arbeitete
und das Edith lektorierte, erschien sie als „Einweihungsritual der uralten Adepten für ein neugeborenes Kind.“
Ich hoffte, dass unser Sohn die Ehe retten würde. In der Tat kamen Edith und ich uns in den ersten Wochen und Monaten nach Bens Geburt wieder näher. Reste
anfänglicher Verliebtheit blitzten im gemeinsamen Elternglück auf. Ben veränderte unsere Beziehung, wie jedes neugeborene Kind die Lebensumstände seiner
Eltern verändert, doch als dieses Leben zu dritt Gewohnheit geworden war, brachen die Kontroversen nur noch schärfer auf. Edith korrespondierte seit dem
ersten Seminar mit Fred Wolff, dem deutschen Lirep, der die Sache der Liga mit ähnlichem Eifer betrieb wie sie und der ihr in allem begeistert
beipflichtete, was sie ihm über Maßnahmen zur Verbreitung der Lehre schrieb. Edith sah in ihm einen Freund, der ihre innersten Bedürfnisse verstand, weil
er sich ebenfalls ganz dem Hju und dem Mahaguru hingegeben hatte. Nachdem ihr Jason als Mann unerreichbar war und ihr eigener Ehegatte in ihren Augen seine
hohe Stellung in der Liga nicht verdiente, projizierte sie ihre spirituellen Sehnsüchte auf Fred.
Ich will nicht verschweigen, dass auch ich meinen Teil beitrug, unsere Ehe endgültig scheitern zu lassen, oberflächlich betrachtet sogar den weit größeren
Teil, denn als selbst Ted noch die Freundschaft zwischen Edith und Fred als platonische Schwärmerei zweier deutscher Seelenpartner belächelte, lernte ich
Diana kennen. Sie war die jüngste Tochter eines Professors, der in meinem Verlag kunsthistorische Reiseführer über einige italienische Städte
veröffentlicht hatte, eine elegante lebenslustige Blondine. Sie hatte in Kunstgeschichte promoviert, arbeitete am Museum of Art in San Francisco und half
ihrem Vater bei der Überarbeitung der Neuauflagen seiner Bücher. Ich lernte sie bei einer Lektoratsbesprechung im Verlag kennen, den ich wegen der Liga
stark vernachlässigte. Wenn ich aber die alten Räume wieder betrat und mit Menschen in Berührung kam, in deren Leben Howard Jason und die Liga keine Rolle
spielten, glaubte ich, befreit durchatmen zu können und das wirkliche, eigentliche Leben erneut zu kosten. Das war es wohl auch, was mich an Diana
faszinierte: Ich konnte mit ihr über alle schönen und interessanten Dinge reden, ohne dass das
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