Der Name der Rose
sich Pflaster und Binden auf, um unheilbare Geschwüre zu heucheln, andere nahmen eine schwarzrote Flüssigkeit in den Mund, um Blutstürze zu simulieren, oder sie täuschten gebrochene Gliedmaßen vor, indem sie an Stöcken gingen ohne Notwendigkeit, oder sie imitierten Kröpfe und eitrige Beulen mit Hilfe von safrangetränkten Tüchern um Kopf und Hals, wieder andere trugen Ketten an ihren Händen, schlichen sich stinkend in die Kirchen ein und warfen sich auf den Boden, geifernd, Schaum vor dem Mund, die Augen verdreht, Blut aus den Nasenlöchern verströmend, das in Wahrheit aus Maulbeersaft und Zinnober gefertigt war . . . All das, um eine milde Gabe zu ergattern von den erschrockenen Leuten, die sich beim Anblick dieser Jammergestalten des Barmherzigkeitsgebotes der heiligen Väter entsinnen sollten: Teile dein Brot mit dem Hungernden, gib dem Obdachlosen ein Dach, lasset uns in diesen Ärmsten der Armen Christum aufnehmen, Christum pflegen und Christum kleiden, denn wie das Wasser die Feuersbrunst löscht, so löschen die Almosen unsere Sünden!
Auch nach den Ereignissen, die ich in diesem Buche erzähle, sah ich häufig und sehe noch heute nicht selten viele von diesen Scharlatanen an den Ufern der Donau vorbeiziehen. Sie haben eigene Namen, und ihre Zahl nach Arten und Gattungen ist Legion wie die der Dämonen: Acapones, Biantes, Affratres, Protomedici, Pauperes verecundi, Asciones, Crociarii, Alacerbati, Reliquiarii, Affarinati, Falpatores, Iucchi, Spectini, Confitentes und Compatrizantes, Apezentes und Atarantes, Acconi und Admiracti, Mutuatores, Atrementes, Cagnabaldi, Falsibordones, Acadentes, Alacrimantes und Affarfantes.
Es war wie eine Schlammflut, die sich über die Straßen unserer Welt ergoß, und zwischen all diesem fahrenden Volk bewegten sich Prediger guten Glaubens, Häretiker auf der Suche nach neuen Opfern, Aufrührer und Agitatoren. Kein Wunder also, daß Papst Johannes in seiner steten Furcht vor den Bewegungen der einfachen Leute, die ein Leben in Armut predigten und praktizierten, so heftig gegen die Wanderprediger vorging, die seinen Worten zufolge die Neugierigen anlockten, indem sie farbenprächtige Banner hißten, um dann nach der Predigt den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Hatte der simonistische und korrupte Papst etwa recht, als er die Armut predigenden Bettelmönche gleichsetzte mit diesen Banden von Entwurzelten und Gesetzlosen? Mir war, nachdem ich ein wenig die italienische 119
Der Name der Rose – Dritter Tag
Halbinsel bereist hatte, die Sache alles andere als klar. Ich hatte von jenen Brüdern in Altopascio gehört, die in ihren Predigten mit Exkommunikationen drohten und Sündenablaß versprachen, die gegen Bezahlung Absolution erteilten für Raub und Mord und Totschlag und Meineid, die auch behaupteten, in ihrem Hospital würden jeden Tag bis zu hundert Messen gelesen, wofür sie Spenden sammelten von den Leuten, und mit ihren Reichtümern würden zweihundert arme Mädchen dotiert. Ich hatte auch von jenem Fra Paolo Zoppo gehört, der im Wald von Rieti als Einsiedler lebte und sich rühmte, direkt vom Heiligen Geist die Offenbarung erhalten zu haben, daß der fleischliche Akt keine Sünde sei – wie es hieß, verführte er seine Opfer, die er Schwestern nannte, indem er sie zwang, sich nackt von ihm peitschen zu lassen, wobei sie fünf Kniefälle auf den Boden in Form eines Kreuzes vollführen mußten, bevor er sie Gott präsentierte und von ihnen verlangte, was er den Friedenskuß nannte. Aber stimmten diese Geschichten? Und wenn sie stimmten, was verband diese Einsiedler, die sich Erleuchtete nannten, mit jenen kleinen Brüdern des armen Lebens, die durch Italien zogen und sich bemühten, wahre Buße zu tun, gehaßt und verfolgt von den reichen Prälaten, deren Laster und Habsucht sie geißelten?
Aus Salvatores Erzählung, die sich in meinem Kopfe vermengte mit dem, was ich von früher wußte, traten diese Differenzierungen nicht hervor: alles schien allem zu gleichen. Einmal wirkte er fast wie einer jener verkrüppelten Bettler in der Touraine, die der Legende zufolge die Flucht ergriffen, als der wundertätige Leichnam des heiligen Martin nahte, weil sie fürchteten, der Heilige werde sie heilen und ihnen damit die Grundlage ihres Lebensunterhaltes entziehen, doch gnadenlos erbarmte Sankt Martin sich ihrer, indem er sie, bevor sie die Grenze erreichten, für ihre Niedertracht bestrafte durch Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft. Ein andermal aber ging
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