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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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keiner irdischen Macht bedroht sein, also war sie lebendig . . . Doch wenn sie lebendig war, warum wollte sie sich dann nicht öffnen und dem Risiko der Erkenntnis aussetzen? War es das, was Benno von Uppsala wollte und was vielleicht auch Venantius von Salvemec angestrebt hatte?
    Verwirrt hielt ich inne, meine Gedanken bestürzten mich. Sie waren wohl auch nicht passend für einen Novizen, der lernen sollte, sein Leben gewissenhaft und in Demut ausschließlich an der Regel zu orientieren
    – was ich seither auch getan habe, ohne mir weitere Fragen zu stellen, während rings um mich her die Welt immer tiefer in einem Chaos aus Blut und Wahnsinn versank.
    Die Stunde des Morgenmahls war gekommen, und so begab ich mich in die Küche, wo ich inzwischen gut mit den Köchen befreundet war, die mir denn auch prompt einen Teller von ihrem Besten vorsetzten.
    117
    Der Name der Rose – Dritter Tag
    DRITTER TAG
    SEXTA
    Worin Adson die Lebensgeschichte Salvatores erfährt, die sich nicht in wenigen Worten zusammenfassen läßt, aber ihm viel zu denken und Anlaß zu großer Unruhe gibt.
    Während ich aß, erblickte ich Salvatore in einer Ecke. Er hatte sich offenbar mit dem Küchenmeister wieder versöhnt und saß nun vor einer Fleischpastete, die er mit großer Inbrunst verzehrte, ja geradezu verschlang, als hätte er in seinem ganzen Leben noch niemals etwas gegessen. Nicht das kleinste Häppchen ließ er fallen, und bei jedem Bissen strahlte er glücklich, als danke er Gott für dieses außerordentliche Ereignis.
    Er nickte mir freundlich zu, kam mit seinem Teller an meinen Tisch und erklärte mir, er esse hier für die vielen Jahre, in denen er früher gehungert habe. Ich fragte ihn, wann das gewesen sei, und er erzählte mir von einer elenden Kindheit in einem Dorf zwischen Sümpfen, wo es immerzu regnete und die Felder verfaulten und die Luft von tödlichen Giften erfüllt war. Es gab dort, soweit ich verstand, monatelang Überschwemmungen, so daß die Felder gar keine Furchen mehr hatten und man mit einem Scheffel Saatgut gerade noch einen Sester erntete, und meist zerrann auch noch dieser Sester zu nichts. Selbst die adligen Herren waren bleich im Gesicht wie die Armen, obwohl, wie Salvatore bemerkte, die Armen viel schneller starben, vielleicht (wie er lächelnd hinzufügte) weil sie zahlreicher waren . . . Ein Sester kostete fünfzehn Groschen, ein Scheffel sechzig, die Prediger sprachen vom nahen Ende der Zeit, doch Salvatores Eltern und Großeltern konnten sich daran erinnern, daß es auch früher schon oft so gewesen war, woraus sie schlössen, daß die Zeiten schon immer dem Ende entgegengingen . . . Groß also war der Hunger, und als die Dörfler alles erreichbare Aas der Vögel und alle unreinen Tiere verzehrt hatten, gingen Gerüchte um, daß jemand begonnen habe, die Toten auszugraben. Mit lebhaften Gesten erzählte mir Salvatore, als wäre er ein Komödiant auf der Bühne, wie jene »homini malissimi« am Tage nach einem Begräbnis auf den Friedhof zu schleichen pflegten und mit bloßen Händen das frische Grab aufwühlten. »Gnam!« sagte er und schlug die Zähne in seine Fleischpastete, doch in seinen glitzernden Augen sah ich den Blick des Verzweifelten, der den menschlichen Leichnam fraß. Und nicht genug mit dieser Schändung geheiligter Erde, versteckten sich manche, die noch schlimmer als die anderen waren, wie Straßenräuber im Walde und überfielen die Reisenden. »Krrk!« machte Salvatore, das Messer an seiner Kehle, und »Gnam!« . . . Und die Allerschlimmsten lockten kleine Kinder mit einem Ei oder einem Apfel und zerfleischten sie dann, nicht ohne sie, wie Salvatore mit großem Ernst präzisierte, vorher zu kochen. Von einem Manne erzählte er mir, der eines Tages ins Dorf kam und gekochtes Fleisch verkaufte für wenig Geld, und niemand konnte so großes Glück fassen, bis dann der Pfarrer sagte, es handle sich um Menschenfleisch, woraufhin die wütende Menge den Mann in Stücke riß. Aber noch in derselben Nacht schlich einer der Dörfler zum Grab des Getöteten, grub ihn aus und fraß vom Fleisch des Menschenfressers, so daß er, als man ihn faßte, gleichfalls zum Tode verurteilt wurde.
    Doch nicht nur diese Geschichten erzählte mir Salvatore. In abgehackten Worten und Sätzen, die mich zwangen, meine geringen Kenntnisse des Provengalischen und der italienischen Dialekte zu versammeln, erzählte er mir die lange Geschichte seiner Flucht aus dem Dorf und seiner Irrfahrten durch die Welt. Und

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