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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Heraufkunft einer neuen Zeit verkündet, in welcher sich der Geist Christi, der seit langem entartet sei durch das Treiben seiner falschen Apostel, von neuem verkörpern werde auf Erden. Und angesichts der Termine, die Joachim dafür genannt hatte, schien es allen ganz klar, daß er unbewußt vom Orden der Franziskaner gesprochen hatte. Und darüber hatten sich viele Franziskaner sehr gefreut, vielleicht ein wenig zu sehr, jedenfalls kam es dann um die Mitte des letzten Jahrhunderts dazu, daß die gelehrten Doctores der Sorbonne zu Paris die Lehren des Abtes Joachim als Häresie verurteilten. Freilich schien es, daß sie dies hauptsächlich deswegen taten, weil die Franziskaner (und die Dominikaner) zu mächtig zu werden begannen und zu einflußreich in der französischen Universität, weshalb sie als Ketzer beseitigt werden sollten. Was dann allerdings nicht geschah, und das war ein Segen für die Kirche, denn es erlaubte die Verbreitung der Schriften des Thomas von Aquin und des Bonaventura von Bagnoregio, die nun gewiß keine Ketzer waren. Woran man sieht, daß auch in Paris die Ideen verwirrt waren, beziehungsweise daß jemand sie um eigener Ziele willen zu verwirren trachtete. Dies eben ist das Übel, das die Ketzerei dem Volke Christi antut: daß sie die Geister verdunkelt und alle dazu verführt, sich zu Inquisitoren aus Eigennutz zu machen. Und was ich in jenen Tagen in der Abtei miterleben sollte (wovon ich in diesem Buch berichten will), brachte mich zu der Überzeugung, daß es häufig die Inquisitoren sind, die das Übel der Ketzerei erzeugen. Nicht nur in dem Sinne, daß sie Ketzer zu sehen meinen, wo gar keine Ketzer sind, sondern daß sie den verderblichen Keim der Häresie mit so großer Vehemenz unterdrücken, daß viele sich dazu getrieben sehen, an ihr teilzuhaben aus Haß gegen die Unterdrücker. Wahrlich, ein circulus vitiosus, den der Teufel ersonnen hat, Gott schütze uns davor!
    Doch zurück zur joachimitischen Ketzerei (wenn es denn eine war). Damals predigte in der Toskana ein Franziskaner, Fra Gerhardino von Borgo San Donnino, der sich zum Sprachrohr der Prophezeiungen des Joachim machte und damit die Minderen Brüder sehr beeindruckte. So bildete sich unter ihnen eine Gruppe, die starr an der alten Regel festhielt, als der große Bonaventura, der inzwischen ihr Ordensgeneral geworden war, den Orden zu reorganisieren versuchte. Und als dann im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts das Konzil zu Lyon dem Orden der Franziskaner, um ihn vor denen zu retten, die ihn abschaffen wollten, das Eigentum an allen Gütern zugestand, die er im Gebrauch hatte, kam es in den italienischen Marken zu einem Aufstand von Brüdern, die meinten, nun sei der Geist der franziskanischen Regel endgültig verraten worden, denn Franziskaner dürften niemals etwas besitzen, weder als einzelne noch als Konvent noch als Orden. Sie wurden zur Strafe für ihren Aufstand lebenslänglich eingekerkert. Ich glaube nicht, daß sie etwas gepredigt hatten, was im Widerspruch zum Evangelium stand, aber wenn das Eigentum und der Besitz an irdischen Dingen ins Spiel kommt, wird es für die Menschen schwierig, gerecht zu argumentieren. Jahre später, so ist mir erzählt worden, fand dann der neue Ordensgeneral Raimund Gaufredi die Eingekerkerten in Ancona und befreite sie mit den Worten: »Wollte Gott, daß wir alle und der ganze Orden uns befleckt 36
    Der Name der Rose – Erster Tag
    hätten mit dieser Schuld!« Woran man sieht, daß es nicht wahr ist, was die Häretiker sagen, sondern daß es in der Kirche immer noch Männer von großer Tugend gibt.
    Einer der Eingekerkerten von Ancona, ein italienischer Bruder namens Angelo Clareno, tat sich alsdann nach seiner Befreiung mit einem provencalischen Franziskaner namens Petrus Johannis Olivi zusammen, der die Prophezeiungen des Joachim in Südfrankreich predigte, und danach mit Ubertin von Casale, und aus dieser Verbindung entstand die Bewegung der Spiritualen. In jenen Jahren kam es dazu, daß ein überaus heiliger Eremit namens Petrus von Murrone den Heiligen Stuhl bestieg, um als Papst Coelestin V. zu regieren, und dieser Papst wurde von den Spiritualen mit großer Freude begrüßt. »Ein Heiliger wird kommen«, war geweissagt worden, »und er wird die Lehren Christi befolgen und wird leben wie ein Engel.
    Erzittert, verderbte Prälaten!« Aber vielleicht lebte Coelestin allzusehr wie ein Engel, vielleicht waren die Prälaten in seiner Umgebung allzu verderbt, vielleicht

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