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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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der Maler, wenn er malt, an einen Betrachter denkt: Kaum hat er einen Pinselstrich angebracht, tritt er ein paar Schritte zurück und prüft die Wirkung; das heißt, er betrachtet das Bild mit den Augen dessen, der es künftig betrachten soll. Ist die Arbeit getan, so entspinnt sich ein Dialog zwischen dem fertigen Text und seinen Lesern (in den der Autor nicht eingreifen darf). Während der Arbeit laufen zwei Dialoge: einer zwischen dem entstehenden Text und allen zuvor geschriebenen Texten (jedes Buch wird aus anderen und über andere Bücher gemacht) und einer zwischen dem Autor und seinem gedachten Wunsch-
    , Modell- oder Musterleser. Ich habe das in theoretischen Schriften dargelegt, insbesondere in meinen Studien über die »Rolle des Lesers«, aber auch schon in denen über das »Offene Kunstwerk«15, und es ist keine Erfindung von mir.
    Es kann sein, daß der Autor beim Schreiben an ein empirisch vorhandenes Publikum denkt, wie es die Begründer des neuzeitlichen Romans taten, Richardson, Fielding oder Defoe, die für Kaufleute und deren Gattinnen schrieben, doch für ein Publikum schrieb auch Joyce, der sich einen Idealleser mit einer idealen Schlaflosigkeit vorstellte. In beiden Fällen heißt schreiben – ob nun der Schreibende glaubt, ein vorhandenes Publikum anzusprechen, das mit dem Geld in der Hand vor der Tür steht, oder ob er sich vornimmt, für einen künftigen Leser zu schreiben – sich mit Hilfe des eigenen Textes den gewünschten Lesertyp schaffen.
    Was heißt es für einen Autor, an einen Leser zu denken, der die initiatorische Klippe der ersten hundert Seiten zu überwinden vermag? Es heißt nichts anderes, als hundert Seiten zu schreiben mit dem Ziel, durch sie einen Leser zu schaffen, der den folgenden Seiten gewachsen ist.
    Gibt es einen Autor, der nur »für die Nachwelt« schreibt? Nein, nicht einmal wenn er es selbst behauptet, denn da er nicht Nostradamus ist, kann er sich die künftigen Leser nur nach dem Muster dessen vorstellen, was er von den gegenwärtigen weiß. Gibt es einen Autor, der nur für wenige schreibt? Ja, wenn damit gemeint ist, daß sein Leserideal aller Voraussicht nach wenig Chancen hat, von vielen verkörpert zu werden.
    Doch auch in diesem Fall schreibt der Autor in der (gar nicht einmal so heimlichen) Hoffnung, daß gerade sein Buch viele neue Vertreter jenes Lesertyps schaffen werde, den er gewollt und durch seinen Text mit soviel handwerklicher Akribie verfolgt, postuliert, ermuntert hat.
    Der Unterschied liegt allenfalls zwischen dem Text, der einen neuen Leser erzeugen will, und dem, der den Leserwünschen, so wie sie sind, entgegenzukommen versucht. Im zweiten Fall haben wir das
    »gemachte« Buch, geschrieben nach einer erprobten Formel für Serienprodukte: Der Autor macht eine Art Marktanalyse und paßt sich an. Daß er nach einer Formel arbeitet, sieht man aus der Distanz, wenn man seine Romane analysiert und feststellt, daß er in allen, bei wechselnden Namen, Orten und Physiognomien, immer dieselbe Geschichte erzählt. Immer die, nach der das Publikum schon verlangte.
    Doch wenn der Autor Neues plant und einen anderen Leser im Sinn hat, will er kein Marktforscher sein, der bloß die geäußerte Nachfrage registriert, sondern ein Philosoph, der dem »Zeitgeist«* auf die Schliche zu kommen sucht. Er will seinen Lesern aufdecken, was sie verlangen müßten , auch wenn sie es selbst noch nicht wissen. Er will seinen Lesern aufdecken, wer sie sind.
    Hätte Manzoni, als er Die Verlobten schrieb, auf die geäußerten Wünsche des Publikums hören wollen, er hätte sich's leicht machen können, die Formel war da: der historische Schinken in mittelalterlichem Milieu mit Heroengestalten wie in der antiken Tragödie, Königen und Prinzessinnen, großen und edlen Leidenschaften, Schlachtengetümmel und Verherrlichungen der Größe Italiens zu einer Zeit, als Italien noch Herrenland war. So hatte er es ja noch in seinem Adelchi- Drama getan, so haben es vor ihm, mit ihm und nach ihm zahlreiche mehr oder minder vergessene Geschichtsromanschreiber getan, von dem
    Kunstgewerbler d'Azeglio über den glühenden und blutrünstigen Guerrazzi bis zu dem unleserlichen Cantù.16 Was aber tut Manzoni? Er nimmt das 17. Jahrhundert, eine Zeit der Versklavung Italiens, und lauter niederträchtige Typen, der einzige Haudegen ist ein Schuft, und Schlachten kommen nicht vor, und er traut sich sogar, die Geschichte noch zu belasten mit Zeitdokumenten und Schreien . . . Und das

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