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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Heiligen. »Sankt Lorenz war also durchaus imstande, zu lachen und Spaße zu machen, sei's auch nur, um seine Feinde zu demütigen . . .«
    »Was nur beweist, wie nah das Lachen dem Tod und dem Verderben des Körpers ist«, knurrte Jorge, und ich muß zugeben, daß er wie ein guter Logiker argumentierte.
    An diesem Punkt mahnte der Abt uns gütig zu schweigen. Als das Mahl beendet war, erhob er sich und stellte William den Mönchen vor. Er lobte seine Weisheit, hob seinen Scharfsinn hervor und erklärte den Versammelten, daß er ihn gebeten habe, den Tod des Adelmus zu untersuchen. Die Brüder seien mithin gehalten, seine Fragen getreulich zu beantworten und die ihnen Unterstellten in der ganzen Abtei anzuweisen, ein gleiches zu tun. Auch sollten sie ihm die Untersuchung soweit wie möglich erleichtern –
    sofern er nicht etwas von ihnen verlange, was gegen die Ordnung des Klosters verstoße, in welchem Falle sie vorher seine, des Abtes, Erlaubnis einholen müßten.
    Als die Mahlzeit beendet war, standen die Mönche auf, um sich zur Komplet in den Chor zu begeben.
    Sie zogen ihre Kapuzen über und ordneten sich vor der Tür zu einer Reihe. Dann bewegten sie sich in langer Prozession hinaus und über den Friedhof durchs Nordportal in die Kirche.
    Wir gingen neben dem Abt. »Zu dieser Stunde, nicht wahr, wird das Aedificium verschlossen?« fragte William.
    »Sobald die Diener das Refektorium und die Küche gereinigt haben, schließt Malachias eigenhändig beide Pforten und verriegelt sie von innen.«
    »Von innen? Und wo geht er dann hinaus?«
    Der Abt sah William streng ins Gesicht und schwieg. »Zweifellos schläft er nicht in der Küche«, sagte er schließlich schroff und beschleunigte seinen Schritt.
    63
    Der Name der Rose – Erster Tag
    »Gut, gut!« flüsterte William mir zu. »Es gibt also noch einen anderen Eingang, und den sollen wir nicht kennen.« Ich grinste, stolz über diese treffliche Deduktion meines klugen Meisters, aber der schalt mich leise:
    »Lach nicht! Du hast doch gemerkt, in diesen Mauern hält man nicht sehr viel vom Lachen!«
    Wir traten in den Chor. Nur ein einziger Leuchter brannte, hoch auf einem schweren bronzenen Dreifuß von doppelter Mannesgröße. Die Mönche begaben sich schweigend ins Chorgestühl, während der Vorleser aus einer Homilie des heiligen Gregor las.
    Als alle versammelt waren, gab der Abt ein Zeichen, und der Cantor intonierte Tu autem Domine miserere nobis . Der Abt respondierte Adjutorium nostrum in nontine Domini , und alle sangen gemeinsam Qui fecit coelum et terram . Dann folgte das Psalmensingen: Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit; Danken will ich dir, Herr, von ganzem Herzen; Auf, lobet den Herrn, alle Knechte des Herrn!
    William und ich hatten nicht im Chorgestühl Platz genommen, sondern uns in das Hauptschiff zurückgezogen. Dort sahen wir plötzlich Malachias aus dem Dunkel einer Seitenkapelle auftauchen.
    »Merk dir die Stelle«, raunte William mir zu. »Vielleicht ist da ein Gang, der zum Aedificium fuhrt.«
    »Unter dem Friedhof hindurch?«
    »Warum nicht? Es muß sogar, wenn man es recht bedenkt, irgendwo ein Ossarium geben, Katakomben oder dergleichen. Es kann doch unmöglich sein, daß alle Mönche, die in den Jahrhunderten hier gestorben sind, allein auf diesem kleinen Friedhof begraben wurden.«
    »Ja wollt Ihr denn wirklich nachts in die Bibliothek eindringen?« fragte ich erschrocken.
    »Wo die Geister verstorbener Mönche umgehen? Wo Schlangen und mysteriöse Irrlichter sind? Nein, lieber Adson. Ich hatte zwar heute morgen daran gedacht, nicht aus Neugier, sondern weil ich mich fragte, wie Adelmus gestorben sein könnte. Aber jetzt, da ich zu einer logischeren Erklärung neige, will ich, wenn ich alles in allem bedenke, die Consuetudines dieser Abtei respektieren.«
    »Warum wollt Ihr dann aber wissen, wie man in die Bibliothek gelangt?«
    »Weil die Wissenschaft, mein lieber Adson, nicht nur darin besteht, zu wissen, was man tun muß oder kann, sondern auch, was man tun könnte, aber lieber nicht tun sollte. Deswegen sagte ich vorhin zu unserem guten Glasermeister, daß der Wissende die Geheimnisse, die er aufdeckt, sorgsam hüten muß, damit nicht andere schlechten Gebrauch davon machen. Aber aufdecken muß er sie dennoch, und diese Bibliothek sieht mir ganz so aus, als ob die Geheimnisse dort eher zugedeckt blieben.«
    Mit diesen Worten traten wir aus der Kirche, denn der Gottesdienst war zu Ende. Wir fühlten uns beide

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