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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sich im wesentlichen an den Gebrauch unseres Ordens und folgte der Lesung schweigend. Im wesentlichen, denn, wie gesagt, am Tisch des Abtes nahm man sich schon mal die eine oder andere Freiheit heraus, und so kam es vor, daß wir die Speisen lobten, die uns dargereicht wurden, indes der Abt die Qualitäten seines Olivenöls rühmte oder auch seines in der Tat vorzüglichen Weines. Einmal sogar, als er uns nachschenkte, zitierte er jenes Kapitel der Regel des heiligen Benedikt, in welchem der Ordensgründer bemerkt, daß der Wein zwar gewiß nichts für Mönche sei, doch da man die Mönche in unseren Zeiten nicht davon überzeugen könne, sollten sie wenigstens nicht bis zur Sättigung trinken, denn der Wein bringe, wie schon der Ekklesiast hervorhob, sogar die Weisen zur Apostasie. Und man bedenke: Benedikt sagte »in unseren Zeiten« und bezog sich damit auf die seinen, die heute weit zurückliegen. Wie anders waren bereits die Zeiten, da wir in jener Abtei am Tische des Abtes saßen, nach soviel Sittenverfall seit der Gründung des Ordens (und ich spreche hier gar nicht von unseren heutigen Zeiten, da ich dies niederschreibe, obwohl man in Melk vorwiegend Bier trinkt)!
    Kurzum, wir tranken. Zwar nicht im Übermaß, aber auch nicht ohne ein gewisses Wohlgefallen.
    Dazu aßen wir frischen Schweinebraten vom Spieß, und mir fiel auf, daß man für die anderen Speisen 62
    Der Name der Rose – Erster Tag
    nicht tierisches Fett noch Rapsöl genommen hatte, sondern das feine Olivenöl aus den Ländereien, die der Abtei in den sonnigen Tälern drunten auf der Südseite des Gebirges gehörten. Der Abt ließ uns von einem knusprigen Hähnchen kosten, das speziell für seinen Tisch zubereitet worden war, und ich bemerkte, daß er etwas sehr Seltenes besaß: eine kleine metallene Gabel, deren Form mich an Williams Lesegerät erinnerte.
    Zweifellos wollte er sich als Mann von nobler Herkunft nicht die Hände an den fettigen Speisen besudeln.
    Er bot uns sein Utensil sogar zur Benutzung an, zumindest um das Fleisch von der großen Platte zu nehmen und es auf unsere Teller zu legen. Ich lehnte dankend ab, doch William nahm es gern und bediente sich dieses vornehmen Instrumentes mit zwangloser Eleganz, als ob er dem Abt beweisen wollte, daß die Franziskaner keineswegs immer Leute von plumpen Manieren und niederer Herkunft sind.
    In meiner Begeisterung über all diese Speisen (nach mehreren Tagen der Wanderschaft, in denen wir uns ernährt hatten, so gut es eben ging) war meine Aufmerksamkeit für die fromme Lesung ein wenig schwächer geworden. Sie wurde aufs neue geschärft durch ein heftig zustimmendes Grunzen des alten Jorge, das, wie ich gleich daraufmerkte, einer Stelle aus der Regel des heiligen Benedikt galt. Einer Stelle, die den gestrengen Jorge zweifellos sehr befriedigen mußte, wenn man bedenkt, was er am Nachmittag im Skriptorium gesagt hatte. Denn der Vorleser las gerade: »Lasset uns tun, was der Prophet verkündet: ›Ich sagte, behüten will ich meine Wege, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich stellte an meinen Mund eine Wache; stumm blieb ich, demütigte mich und schwieg sogar vom Guten.‹ Hier lehrt uns der Prophet, daß man dem Schweigen zuliebe bisweilen sogar der guten Rede entsagen soll. Um wieviel mehr muß man dann um der Sündenstrafe willen das böse Reden vermeiden!« Und weiter hieß es: »Leichtfertige Spaße aber und albernes oder zum Lachen reizendes Geschwätz verdammen wir allezeit und überall, und keinem Jünger erlauben wir, zu derlei Reden den Mund zu öffnen.«
    »Jawohl, und das gilt auch für die Marginalien, von denen wir heute sprachen«, konnte sich Jorge nicht enthalten, leise zu kommentieren. »Wie Johann Chrysostomus sagte: Christus hat nie gelacht!«
    »Nichts in seiner menschlichen Natur untersagte es ihm«, warf William ein, »denn das Lachen ist, wie uns die Theologen lehren, dem Menschen eigentümlich.«
    » Forte potuit, sed non legitur eo usus fuisse «, sagte Jorge mit fester Stimme, ein Diktum von Petrus Cantor zitierend.
    » Manduca, iam coctum est «, murmelte William.
    »Was?« fragte Jorge verwirrt, offenbar in der Meinung, William spreche von einem Braten, den man essen solle, solange er knusprig ist.
    »Diese Worte sprach, wie Ambrosius berichtet, der heilige Lorenz auf dem Feuerrost, als er seine Henker aufforderte, ihn auf die andere Seite zu drehen, wie auch Prudentius in seinem Peristephanon zu berichten weiß«, sagte William mit der Miene eines

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