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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sehr müde und gingen in unsere Zellen. Ich rollte mich in meinen Winkel, den William scherzhaft meinen loculus nannte, und schlief sofort ein.
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    Zweiter Tag
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    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    ZWEITER TAG
    METTE
    Worin kurze Stunden mystischen Glücksgefühls unterbrochen werden von einem überaus blutrünstigen Ereignis.
    Sinnbild und Wahrzeichen bald des lodernden Feuerteufels, bald des auferstandenen Christus, ist der Hahn das unzuverlässigste aller Tiere. Wir hatten in unseren Abteien sogar Exemplare, die zu träge waren, bei Sonnenaufgang zu krähen. Andererseits wird die Mette bei uns so früh gefeiert, daß es, zumal im Winter, noch tiefe Nacht ist und die ganze Natur noch schläft, denn die Mönche haben sich lange vor Tagesanbruch zu erheben und im Dunkeln zu beten, um in Erwartung des dämmernden Morgens die Finsternis zu erhellen mit der Glut ihrer frommen Andacht. Und so verlangt denn ein kluger Brauch unserer Klöster, daß einige Brüder am Abend nicht schlafen gehen, sondern die Nacht verbringen mit rhythmischer Rezitation einer vorgeschriebenen Anzahl von Psalmen, die so bemessen ist, daß sie ihnen die Stunden der Nacht anzeigt, dergestalt daß diese Fratres Vigilantes, wenn die Zeit gekommen ist, ihre Mitbrüder wecken können.
    So wurden auch wir nun in jener Nacht von Mönchen geweckt, die mit einer Glocke durchs Dormitorium und durchs Pilgerhaus zogen, während einer von Zelle zu Zelle ging und in jede hineinrief Benedicamus Domino , was dann der also Geweckte mit einem Deo gratias beantwortete.
    William und ich hielten uns an den benediktinischen Brauch: In weniger als einer halben Stunde waren wir bereit, den neuen Tag zu empfangen, und begaben uns in den Chor, wo die Mönche ausgestreckt auf dem Boden lagen und die ersten fünfzehn Psalmen rezitierten, bis die Novizen eintrafen, angeführt von ihrem Meister. Dann nahmen alle im Chorgestühl Platz und intonierten das Domine labia mea aperies et os meum adnuntiabit laudem tuam . Der Gesang stieg zum hohen Gewölbe der Kirche empor wie das Bittgebet eines Kindes. Alsdann bestiegen zwei Mönche die Kanzel und sangen den vierundneunzigsten Psalm, Venite exultemus , und heiß überkam mich das Glücksgefühl eines erneuerten Glaubens.
    Die Mönche saßen im Chorgestühl, sechzig dunkle Gestalten, alle gleich anzusehen in ihren schwarzen Kapuzen und Kutten, sechzig Schatten, kaum aufgehellt vom Fackelschein auf dem hohen Dreifuß, und sechzig Stimmen erhoben sich fromm zum Lobe des Höchsten. Und während ich andächtig diesem bewegenden Wohlklang lauschte, diesem klingenden Vorhof der Freuden des Paradieses, fragte ich mich, ob denn wirklich diese Abtei ein Ort verstohlener Geheimnisse, sündhafter Heimlichkeiten und finsterer Drohungen war – erschien sie mir nun doch ganz wie ein Heiligenschrein, ein Hort der Tugend, Gehege der Weisheit, Gefäß der Besonnenheit, Turm der Gelehrsamkeit, Garten der Demut, Born des Friedens, Bollwerk der Festigkeit und Rezeptakulum aller Gottesfurcht.
    Nachdem sechs Psalmen verklungen waren, begann die Lesung aus der Heiligen Schrift. Die Mönche folgten ihr reglos, den Kopf auf die Brust gesenkt. Bei manchen neigte er sich auch ein wenig zur Seite, und um zu verhindern, daß sie endgültig einnickten, ging zwischen den Reihen einer der Vigilantes umher mit einer kleinen Lampe: Wer in des Morpheus Armen ertappt wurde, mußte zur Sühne die Lampe nehmen und selber den Rundgang fortsetzen. Nach der Lesung wurden noch einmal sechs Psalmen gesungen. Dann erteilte der Abt seinen Segen, der Vorleser sprach das Gebet, und alle neigten ihre entblößten Häupter vor dem Altar zu einer Minute der Sammlung – ein Augenblick, dessen Süße niemand ermessen kann, der solche Stunden mystischer Glut und tiefsten inneren Friedens nicht selber erlebt hat. Schließlich setzten sich alle wieder, zogen erneut die Kapuzen über und sangen feierlich das Te Deum . Und auch ich lobte den Herrn, weil er mich erlöst hatte von meinen Zweifeln und mir das Gefühl des Unbehagens genommen, in welches mein erster Tag in dieser Abtei mich gestürzt hatte. Schwache und schwankende Wesen sind wir allzumal, sagte ich mir; auch unter diesen gelehrten und frommen Mönchen säet der Böse zuweilen Streit, Neidereien und Hader, doch all das vergehet wie flüchtiger Rauch vor dem Sturmwind des Glaubens, sobald sich die Bruderschaft wieder zusammenfindet im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
    Zwischen Mette und Laudes

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